Im College lebt eine blinde Inderin. Vor einigen Monaten noch bewegte sie sich auf dem Gelände mithilfe ihres Blindenstocks und in Begleitung von Kommilitonen. Nun ist sie auf beide nicht mehr angewiesen und verlässt sich auf Gehör und Gedächtnis. Sie mit dieser Sicherheit wandeln zu sehen - das lässt ahnen, wie viel Potenzial ungenutzt bleibt.
"Es gibt nur eine Maxime - das ist die, daß man sich mit dem Tode befreunden muß." (Jünger, Strahlungen)
Sonntag, 29. April 2007
Samstag, 28. April 2007
Uniform
An Wochenenden mehren sich die Züge junger Briten in Abendgarderobe. Eindruck von Scharade. Besonders die undergraduates mit den weichen Gesichtszügen und den schon auf dem Hinweg lallenden Stimmen wirken wie Kinder, die Eltern spielen.
An Bällen und formellen Dinnern herrscht hier auch wochentags kein Mangel und als höchste Form des „socialising“ stehen sie hinter dem Erfolg der kleinen Universitätsstädte. Der Nachwuchs wird in Form gebracht für „queen and country“. Es ist nur konsequent, wenn zu diesem Zwecke bereits die Jüngsten erfasst und uniformiert werden. So entsteht eine Natürlichkeit im Tragen der bürgerlichen Uniform, die Deutschland vermissen lässt. Mit dem Gebot der Ungezwungenheit, erlassen Anno Domini 1968, gingen dort in Kleiderfragen Stil und Ironie verloren.
Mittwoch, 25. April 2007
Dienstag, 24. April 2007
Kulturunterschiede
Gespräch mit Chinesen. Die Briten hätten keine Kultur. Die Sprache würde zwar überall gesprochen, aber es sei die des Business und des Gemeinen. Merke: Die eigene Kultur ist stets Heilige, die der Anderen Hure – man begehrt, nimmt und verachtet sie dabei.
Sonntag, 22. April 2007
Subkulturelles Gegengift
An den Betreiber von www.sadkermit.com :
“It's a great parody! I'm wondering why you are doing it. Just for fun? Or is it maybe a devilishly good marketing gag to sell some merch?
Anyway: Keep on parodying all those narcistic songs of melancholic masturbation. Hopefully, some of the kids outside will realise how ludicrous self-pity is in the end.”
Absehbar, dass sein Erfolg nicht lange anhalten wird. Nicht nur ist das das Schicksal des meisten Internetruhmes. Er versteht sich soweit auch nur auf eine Technik der Parodie, eben jenen Sad Kermit. Noch einige Lieder mehr und er wird langweilig. Die Belehrung dagegen bleibt außerordentlich.
Samstag, 21. April 2007
Brit Trash | fragile 2.0
Auf dem Weg zurück Verfremdungseffekte. Eine Gruppe schrill-quiekender Britinnen: 20, 35, 40-50. Ab einem gewissen Alter straft Make-up Lügen; es braucht schon zu viel. Eine Parallelstraße weiter Gänsemarsch junger Mädchen, vielleicht 11; hier kann es noch nicht reichen. Es ist kühl, doch muss die gefühlte Temperatur hoch sein. In Arztpraxen hängen Hinweise, warum und wie bei niedrigen Temperaturen warme und lange Kleidung getragen wird.
Aus den grellbunten Terrarieren dröhnt es dumpf. Am Eingang stehen immer zwei Türsteher, stets der gleiche Typus: Kahl, fett, violent pornography. Neben einer gothischen Kathedrale taumeln zwei Oxbridge chums. N. ist die „Kulturmetropole des Nordostens“; die Wochenendgelage sind so bekannt, dass es auch Hauptstädter für eine Nacht hierhin verschlägt. Billiges Leben zieht an.
Im Nachtzug die „non-starter“ dieser Nacht. Ein Trupp polnischer Wanderarbeiter, Homeboys aus D., viele betrunken-resignierte Enddreißiger. Die südenglischen Dialekte verlieren unter diesen Bedingungen am stärksten an Reiz.
In der Wahlheimat ist wieder Walpurgisnacht. Das schiefe Gelächter hallt durch die alten Gassen, während die Abscheu sich an stumpfen Leibern weidet. Vor einigen Monaten, es war wieder „theme party“, waren viele von ihnen in Müllbeutel gehüllt.
NIN, Year Zero. Rückkehr zum Niveau von The Fragile. Die Wahrnehmung des Zerfalls noch elektronischer und damit auch bedrückender: Heute beängstigt weder die Verwaltung, der die Rationalität abhanden gekommen ist, noch das atomare Feuer – es ist die Netzstörung, schließlich der Netzausfall. Digitale Dissonanzen für eine digitale Epoche.
Enttäuschend dagegen die lyrics. Das Konzeptalbum erzählt vom Aufzug eines totalitären Überwachungsstaates: Herrschendes Militär, Staatsreligion, Aufstand usw. Capital G: "I pushed the button / and let him to office / and he pushed the button / and dropped the bomb“. Der politische Leichnam zieht den Schwarm kritischer Fliegen nach sich.
Donnerstag, 19. April 2007
Altersprämie
Henry Allingham, Weltkriegsveteran. Zum Rekord: Mit 110 Lebensjahren ältester Brite und männlicher Europäer, derzeit. Die berühmte Frage, wie man es zu diesem Alter bringe, beantwortet er stereotyp mit „cigarettes, whisky and wild, wild women – and a good sense of humor“.
Als seltenes Fabeltier der Geschichte hält er Vorträge an Schulen. Wie möchte er erinnert werden? – „I couldn’t care less.“ Und warum diese Vorträge? Er liebe die Zuversicht der Kinder. – „Man muß nur hübsch alt werden: da giebt sich Alles.“ (Schopenhauer)
Mittwoch, 18. April 2007
odd man out
Ein Verrückter weniger. Beachtliches Missverhältnis: Einige Medientage wiegen dreiundzwanzig Lebensjahre auf.
Auf Wiedersehen.
Dienstag, 17. April 2007
Fressen (stumm)
Eine Einladung zum Essen. Diesem voraus geht niedere Küchenarbeit: Muscheln säubern. Daneben der riesige Topf mit vier großen Krabben.
Ineinander verkeilt versuchen sie zu entkommen. Sie reißen sich dabei gegenseitig die Gliedmaßen aus.
Auf dem Teller dampfen sie vor sich hin. Gräuliches Gewebe bedeckt sie wie Seetang. Es muss sich um weichgekochtes Fleisch oder sonstigen Innereien handeln, die der harten Schale entwichen sind.
Ehe sie auf den Herd kommen, werden auch sie gesäubert. Jede Krabbe wird unter den kalten Wasserstrahl gehalten und mit einer Zahnbürste von grobem Dreck befreit. Eine von ihnen greift nach dem hölzernen Kochlöffel. Erst nach einigen Schlägen auf die Schere gibt sie nach.
Das Öffnen der Krabbe erweist sich leichter als der erste Blick auf das solide Kopfbruststück vermuten lässt. Die Schwanzplatte muss herausgerissen werden. Ein Vorgang, der an das Aufreißen eines Kartons erinnert.
Wieder im Kochtopf versuchen die Krabben vergeblich zu fliehen. Die Herdplatte glüht.
Ein Messer wird in die freigewordene Öffnung eingeführt. Mit einem schnellen Griff wird der Panzer ausgehebelt. Im Inneren schleimiges Grau-Weiß mit einigen roten Punkten.
Obwohl das Wasser bereits kocht, hört man noch das Klacken der Beine und Scheren. Das aufschäumende Wasser lässt nur Schemen erkennen. Überraschend lange herrscht Unruhe im Topf. Noch ehe es still wird, breitet sich fischartiger Geruch im Raum aus.
Es heißt, alles sei essbar, bis auf zwei Reihen weichen Kiemenfleisches, die Leber. Viel ist es nicht. Erhalte den oberen Teil, der Tischgenosse zur Linken den Beinapparat samt Scheren. Schwer zu sagen, wen es besser erwischt hat. In dem Panzer eine trübe Flüssigkeit, die ein anderer Tischgenosse gierig mit dem Löffel aufnimmt. Darin Schleimklumpen. Beides hat einen marinen Geschmack, durchaus essbar, aber fad. Mag daran liegen, dass die Tiere ohne jede weitere Behandlung gekocht worden sind. Ein Tafelgast kippt eine scharfe Brühe in den Panzer vor ihm. Er weist darauf hin, dass die roten Kügelchen besonders gut seien. Obgleich sie sich im oberen Teil des Panzers befinden, sind es Eier. Nervensystem und Geschlechtsteile sind zusammen weichgekocht worden. Empfehlenswert sollen auch die Scheren sein. Mit einigen festen Beilhieben lassen sie sich knacken und offenbaren weißes Fleisch, das im Mund rasch zerfasert.
Beim Entnehmen aus dem Kochtopf starren die Krabben. Welche Reaktion dafür verantwortlich sein mag, dass die Augenstiele ganz ausgestreckt sind? Die Hitze, die ihre Innereien dünstete, expandierte, während sie gegen heißes Metall stießen?
Für die Gastgeber, die sich im sozialen Verkehr übten, war das Mahl ein Erfolg. Es ist eines jener internationalen Paare, dessen Bruch im September absehbar ist; die grotesken Tischabfälle verschwinden im Abfalleimer.
Donnerstag, 12. April 2007
clean cut kid
Auch ein sauberer Schnitt bedeutet nicht das Ende, solange die Erde kontaminiert bleibt. Hier beginnt erst die eigentliche Arbeit. Wie so häufig auf diesem Felde ist es travail pour le roi de Prusse.
Montag, 9. April 2007
Devil Town
Ostermesse. Der Priester rechtfertigt Vergänglichkeit. Ohne den Tod keine Wiederauferstehung. Die Logik als Magd des Glaubens verstimmt. Sie gleicht dem Wasser , das den Alkohol streckt.
Karfreitagschrist: Bis zur Kreuzigung mitgehen, die folgenden 2000 Jahre Phantasterei den Schwachen, Alten und Verzweifelten überlassen. Und den Sonntagschristen.
Freitag, 6. April 2007
Mengenleere
Ist der Einzelne eine Schnittmenge aus den Persönlichkeiten Anderer? Man spricht oft von Persönlichkeitsentwicklung und es liegt daher die Annahme einer tabula rasa nahe. Doch wie entscheidet sich, was stehen bleibt und was wieder weggewischt wird? Die Antwort gibt Auskunft über die eigene Optik, über das, was man in Anderen, ja in der Welt überhaupt sah.