Bristol, Clifton Suspension Bridge. 1864 erbaute Hängebrücke von Weltruf. Wie alle ambitionierten Brückenprojekte geht sie weit über die reine Funktion, Punkt A mit Punkt B zu verbinden, hinaus. Eine Metapher für den Fortschritt, gebaut in einer fortschrittsgläubigen Zeit. Es verwunderte nicht, wenn vor allem der Geltungsdrang der Viktorianer zu diesem Meisterwerk der Ingenieurskunst bewegt hat: Dass zwischenzeitlich ein Aufstand in der Stadt die Bauarbeiten verzögerte, das Kapital ausging und endlich ihr Konstrukteur, der damals viel gerühmte Ingenieur Isambard Brunel, gestorben war, scheint mehr zu der Entstehung solcher Prestigeobjekte zu gehören als widrige und nebensächliche Umstände auszumachen.
Heute ist die Brücke gut gesichert. Überwachungskameras, Wachleute, ein Telefon mit direkter Verbindung zu den Samaritern, die "Tag und Nacht" da sind. Auf Nachfrage die Antwort, dass es trotzdem noch pro Jahr zwei "fatalities" gäbe. Weitaus häufiger lassen sich heute allerdings Hochzeitsgesellschaften vor der Brücke ablichten. Ein fragwürdiges Hintergrundmotiv.
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Bristol, kleine Brücke in einer Fußgängerpassage. Ein Bettler sitzt an einem Ende und verdingt sich mit erbärmlichem Trommelspiel auf einem alten Pappkarton. Zwei zwielichtige Gestalten tauchen auf. Sie fordern ein "Ticket" von dem Elenden und nehmen etwas von dem Kleingeld aus seiner Brusttasche. Er schaut wie ein zu oft geprügelter Hund und beginnt erneut sein monotones Getrommel.
Das Schlimme an seiner Lage ist es, dass das Unglück ihm am helllichten Tage und unter Hunderten seiner Artgenossen widerfährt, wobei er dennoch nicht die geringste Hilfe zu erwarten hat. Selbst wenn man den Passanten, die ihn achtlos übergingen, sein Unglück erläutern würde, hätten sie dafür wohl kaum Verständnis: Er ist bereits am Boden, da fallen neue und kleinere Verletzungen, und mögen sie ihm auch Katastrophen sein, nicht mehr auf. - Das Feuchte in den Augen, das verletzt-einfältige Gesicht, mit dem er zwei Nichtsnutzen, aber doch zwei Fordernden unter hundert Unachtsamen begegnete, überhaupt das Aussichtslose seiner erbärmlichen Bettelei - das ist der Brunnen, aus dem Kafka schöpfte.