"Es gibt nur eine Maxime - das ist die, daß man sich mit dem Tode befreunden muß." (Jünger, Strahlungen)

Donnerstag, 30. August 2007

Feuer

Verbrennung von Korrespondenz. Das Feuer frisst sich durch schwere Worte; die Asche fliegt mit bewundernswerter Leichtigkeit dahin. Dem Papier folgt zeitverzögert die Erinnerung.

Feuer als Ordnungselement. Eine Lektion, die schon das Kind gelernt: Wenn es die Überreste der abgenagten Forelle in das Lagerfeuer hielt, wurde sie bis auf das Gerippe gereinigt. Ließ es sie zu lange im Feuer, so blieb nichts.

Dienstag, 21. August 2007

Datenverlust

Hinter dem anfänglichen Ärger und Schrecken eine Ermahnung, für die man dankbar sein muss. Was ist schon verlorene Arbeitszeit? "Arbeit zieht Arbeit nach sich", der Inhalt bleibt zweitrangig. Und die fein parzellierten Erinnerungen, all die Fotos? Was sich nicht als Erinnerung im Hirn erhalten kann, dem war vermutlich von vorneherein kein langes Leben beschieden. Schließlich ganze Korrespondenzen; ihre Substanz, ihre Schwere, verflüchtigt sich innerhalb einer Sekunde. Aber auch das, was "bedeuten" mag, muss ohne Schmerz verloren gehen. Es gehört zu den Ausscheidungen eines Lebens und die Lust, derartiges "aufzuheben", hat etwas zutiefst Unhygienisches.


Datenverlust ist ein Geschenk, gerade im "Informationszeitalter": Gepäckerleichterung, die an die Maßstäbe gemahnt und schließlich auch Vernichtungsarbeit abnimmt, die man zu lange aufgeschoben hat.

Samstag, 18. August 2007

Zeitkapsel I

Seit dem 1. Juli gilt in England Rauchverbot, nun auch dort, wo getrunken wird. Diese Maßnahme hat eine unerwartete Auswirkung auf die beliebten Pubs: Nach dem Ausfall des Zigarettenrauchs als alles überdeckender Geruch stinkt es dort nach abgestandenem Bier, Schweiß und Urin. Das missfällt den Gästen, zumindest solange sie noch nüchtern sind. Daher setzen Pub-Besitzer nun auf künstliche Wohlgerüche. Als beliebt erweist sich der Synthetikduft frisch gerauchter Zigarren - er erinnert die Kunden an alte Zeiten.

Sonntag, 12. August 2007

social butterfly

Neue Mitbewohnerin. Nach westlichen Maßstäben adrette Erscheinung: Kleidet sich wie andere Chinesinnen, also nach amerikanischem Globalstil, kann die Kleidung allerdings auch ausfüllen. Bei der ersten Begegnung hat sie Schwierigkeiten den Ofen zu bedienen - sie weiß nicht, wie er funktioniert, und verzweifelt an der Zweisatzanleitung auf der Pizzaschachtel. Für die Beratung ist sie dankbar, auch für den Hinweis, dass Trockennudeln nicht im Kühlschrank gelagert werden müssen. Wie andere Asiatinnen äußert sie ihre Dankbarkeit in einer unangenehm offenen, aber anscheinend aufrichtigen Bewunderung.


Nach ihrem Abgang Reue: Solchen Leuten darf man nicht helfen. Ein Mensch, hier Frauentypus, der durch traditionelle Erziehung, eigene Berechnung und endlich Dummheit auf beiden Seiten gelernt hat, dass man mit attraktivem Äußeren und einem Dauerlächeln überall durchkommen kann, egal wie dumm, einfältig oder kurzsichtig man auch ist. Das Leben solcher Menschen ist empörend leicht und es ist unrecht, es noch leichter zu machen, während so viele andere darben. Doch gliche die Ablehnung gegenüber diesen von Natur aus Begünstigten derjenigen gegenüber einem treudoofen Hund; sie erforderte unmenschliche Bösartigkeit. So spielt man also mit und macht die Welt zu einem schlechteren Ort. - Selig sind die geistig Armen; ihrer ist die Erde reich.

Sonntag, 5. August 2007

Walk on the Wild Side

Manchester, Samstagnacht. Nach Newcastle nochmalige Steigerung des bekannten Bildes: Infernalisches Gewummer, stechende Beleuchtungen und knappe Camouflage brünstiger Leiber. In einer Fressbude um die Ecke kostenloses Volkstheater: Zwei junge Mädchen in enthüllendem Schwarz und ihre Stecher in spe torkeln herein. Der Laden ist kurz davor zu schließen, die Knechte hinter der Theke lächeln müde. Die Mädchen drängen auf Einlass in die schon abgeschlossenen Toiletten. Die Knechte, zwei Asiaten, lehnen ab, lassen sich auch nicht von dem ritterlichen Verweis der Männchen erweichen, dass es doch bittende "ladies" seien. Die Knechte verweisen auf den Herren der Toiletten, wenig überraschend einen Schwarzen. Der Riese thront gelangweilt hinter einem Absperrband. Die beiden "ladies" schieben sich ungelenk darunter hinweg und betteln in schrillen, sich überschlagenden Stimmen um einen gütigen Wink, versuchen schließlich ihn, der nicht nachgeben will, zu becircen. Dieweil die beiden an dem Starrsinn oder der Müdigkeit des Scheißhauswärters scheitern, verstricken sich ihre trunkenen Verehrer in eine Nebenhandlung. Angelockt von dem Auflauf in dem Laden haben weitere Trunkenbolde ihn betreten. Einer von ihnen trägt ein T-Shirt, das einem der Rittersleut voll Fehl und Tadel gefällt. Innerhalb einer Minute haben die beiden ihre Hemden ausgetauscht und die Differenz verrechnet. Die Mädchen geben auf und verfluchen den "prick", der lässig vor sich hingrinst. Weiteres Strandgut der Nacht wird angespült.



Allgemein zehrt die Stadt von ihrer proletarischen Substanz. Das fällt bereits an der für westliche Verhältnisse ungemeinen Verschmutzung der Stadt auf; man wird kaum einen sauberen Platz finden, sofern er nicht zu einem der neu erbauten und gut bewachten Einkaufszentren gehört. Dazu kommt das Filmisch-Amerikanische dieser Stadt mit ihren breiten Strassen, dem kosmopolitischen Trubel, dem Sirenengeheul und den heruntergekommenen Apartmenthäusern. Das wird wohl Folge der Verwandlung einer abgewrackten Industrie- zu einer angesagten Partymetropole sein.


Freitag, 3. August 2007

Brücken

Bristol, Clifton Suspension Bridge. 1864 erbaute Hängebrücke von Weltruf. Wie alle ambitionierten Brückenprojekte geht sie weit über die reine Funktion, Punkt A mit Punkt B zu verbinden, hinaus. Eine Metapher für den Fortschritt, gebaut in einer fortschrittsgläubigen Zeit. Es verwunderte nicht, wenn vor allem der Geltungsdrang der Viktorianer zu diesem Meisterwerk der Ingenieurskunst bewegt hat: Dass zwischenzeitlich ein Aufstand in der Stadt die Bauarbeiten verzögerte, das Kapital ausging und endlich ihr Konstrukteur, der damals viel gerühmte Ingenieur Isambard Brunel, gestorben war, scheint mehr zu der Entstehung solcher Prestigeobjekte zu gehören als widrige und nebensächliche Umstände auszumachen.


Heute ist die Brücke gut gesichert. Überwachungskameras, Wachleute, ein Telefon mit direkter Verbindung zu den Samaritern, die "Tag und Nacht" da sind. Auf Nachfrage die Antwort, dass es trotzdem noch pro Jahr zwei "fatalities" gäbe. Weitaus häufiger lassen sich heute allerdings Hochzeitsgesellschaften vor der Brücke ablichten. Ein fragwürdiges Hintergrundmotiv.


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Bristol, kleine Brücke in einer Fußgängerpassage. Ein Bettler sitzt an einem Ende und verdingt sich mit erbärmlichem Trommelspiel auf einem alten Pappkarton. Zwei zwielichtige Gestalten tauchen auf. Sie fordern ein "Ticket" von dem Elenden und nehmen etwas von dem Kleingeld aus seiner Brusttasche. Er schaut wie ein zu oft geprügelter Hund und beginnt erneut sein monotones Getrommel.

Das Schlimme an seiner Lage ist es, dass das Unglück ihm am helllichten Tage und unter Hunderten seiner Artgenossen widerfährt, wobei er dennoch nicht die geringste Hilfe zu erwarten hat. Selbst wenn man den Passanten, die ihn achtlos übergingen, sein Unglück erläutern würde, hätten sie dafür wohl kaum Verständnis: Er ist bereits am Boden, da fallen neue und kleinere Verletzungen, und mögen sie ihm auch Katastrophen sein, nicht mehr auf. - Das Feuchte in den Augen, das verletzt-einfältige Gesicht, mit dem er zwei Nichtsnutzen, aber doch zwei Fordernden unter hundert Unachtsamen begegnete, überhaupt das Aussichtslose seiner erbärmlichen Bettelei - das ist der Brunnen, aus dem Kafka schöpfte.