"Es gibt nur eine Maxime - das ist die, daß man sich mit dem Tode befreunden muß." (Jünger, Strahlungen)

Donnerstag, 25. Oktober 2007

Hans im Glück

Wien, Zentralfriedhof. Nieselregen bei trauergrauem Himmel. Am Haupteingang vermischt sich der Geruch der Grabkränze mit dem der Fressbuden. Es erstaunt, wie viele Händler hier ihr Auskommen zu finden scheinen. Doch dann ist dies der zweitgrößte Friedhof Europas und auch einer der betriebsamsten. Große Verwaltungsbauten direkt hinter dem Portal, in allen Ecken Besucher und Hinterbliebene, und seit kurzer Zeit auch Autos auf den breiten Wegen. Sogar eine eigene Buslinie verkehrt hier. Konzessionen an einen bizarren Betrieb; "death is not the end".


Während der Stunden an diesem Ort, in denen der Lebensgeist allmählich dem Regen, der Kälte und den verwitterten Steinen nachgibt, eine Lektion in der Nichtigkeit von Titeln. "Commerzial-Rat", "Haus- und Realitätenbesitzer", "Rechtsprofessor", "Tischlermeistergattin" - Spleen eines Volkes, in dem solche Namenszusätze gern gesehen sind und in dem selbst der "Herr Magister" Achtung verlangen darf. An diesem Ort des Vergessenwerdens gelangen sie zu ihrem höchsten Ausdruck.

In einer Arkadengruft ein "provisorisches" Grab von 1919: "Unser Hans", 22 Jahre alt. Die einfache Steinplatte wirkt stärker als der Marmor und die Standbilder um sie herum. Sie zeugt von dem tiefen Schmerz, den die Seinen litten. Was mit ihnen geschehen sein mag, dass dieses Grab "provisorisch" blieb? Der Tod des Sohnes fällt nicht zufällig zusammen mit dem Untergang Österreich-Ungarns. Eine winzige Kerbe der Geschichte.


Hinter einer Gräberreihe das Gespräch einiger Totengräber mitgehört. Taxieren den Wert von Steinen und Begräbnissen. Es handelt sich offenbar um einträgliche Dienstleistungen. Dieweil fürchtet sich irgendwo ein altes Mütterchen zu sterben, weil es nicht das Geld für ein ordentliches Begräbnis hat. Angewidert von dem Konformitätsdruck dieser letzten Orte einem anderen Totengräber beim Ausheben eines alten Grabes zugesehen. Die Grube spuckt lehmige Erdklumpen aus, die auf den Erdhaufen daneben klatschen. An Tiere und Kinder gedacht, bis der Spaten auf Holz stößt. Es hilft nicht, das Entwürdigende dieser Verwaltungsmaßnahme zu übersehen.

Auf der "Kriegersektion" des Friedhofs, weit am Rande und gegenüber einem Rangierbahnhof. Die in den Boden eingelassenen Steinplatten sind von Moos bewachsen, einige zerbrochen, die Namen oft vom Regen ausgewaschen. Nur die eisernen Kreuze sind dann noch zu erkennen. Das Betonkreuz eines 22jährigen, eines anderen Hans, der "für Kaiser und Reich" gefallen ist. Der linke Teil ist abgebrochen, nur ein rostender Gitterstab erinnert an ihn. "Für Kaiser und Reich". So verrotten vergessene Verlierer.