"Es gibt nur eine Maxime - das ist die, daß man sich mit dem Tode befreunden muß." (Jünger, Strahlungen)

Montag, 11. Juni 2007

gnädig grausam

Eine Mücke umfliegt die Enge der Zelle. Ein unbedachter Schlag und sie verschwindet. Stunden später die Entdeckung, dass sie noch lebt. In einer Ecke liegt sie gekrümmt da, zucken ihre Beinchen unregelmäßig. Die feinen Flügel sind zerrissen, bewegen sich vergeblich. Das menschliche Auge reicht nicht für weitere Details, genügt aber, um den strahlenden Schmerz zu erkennen. Mit einem schnellen Fingerdruck entweicht das Restleben. Unachtsamkeit als grausamste Ursache des Schmerzes.

Da sie Teil der Natur ist, erregt sie wenig Anstoß, ist vielmehr überall dort zu finden, wo das Leben Kampf ist. Das umfasst größere Teile des menschlichen Bestandes als denen lieb sein kann, die gelehrt von „naturalistischem Fehlschluss“ reden. Die Einzelnen bewegen sich, streben, soweit sie nicht von der Substanz zehren, „nach oben“. Auch ohne den Willen zum Kampf findet so Verdrängung statt, landen die Verlierer, die Schwächeren und Pechvögel im Abseits. Ein Blick hinter die Lenkräder endloser Transporter, auf blank geputzte Flure, ausgebesserte Kanalanlagen deutet an, welcher Natur dieses Abseits ist und welcher Verschleiß dort stattfindet. Die menschlichen Späne bleiben unbeachtet, auch ihre Leistung, die das Leben an der Oberfläche erst möglich macht.

Dort herrschen zwei extreme Meinungen. Der Zyniker gibt unumwunden zu, dass er lediglich Ruhe vor den Depravierten haben will, um sich ungestört an seinen Gewinnen delektieren zu können. Dafür ist er bereit große Geld-, Sach- und Propagandamittel aufzubringen. Der Humanist dagegen leugnet den Kampf, spricht stattdessen von Demokratie, Fortschritt und Kooperation. Und während es ihn unter seinesgleichen verschlägt, wo man sich an Kunst, Kultur und den feineren Dingen des Lebens zu erfreuen weiß, schlägt man sich darunter durch.