"Es gibt nur eine Maxime - das ist die, daß man sich mit dem Tode befreunden muß." (Jünger, Strahlungen)

Freitag, 28. September 2007

Von diesen, die ausziehen

Backpacker. „Hi, how are you? bla bla bla Australia / the States bla bla bla high school bla bla bla should we talk about the weather? bla bla bla should we talk about Bush ? bla bla bla Paris? One day! bla bla bla Yeah, Germany: Octoberfest! bla bla bla” – Eine Gruppe, die sich im Kosmopolitischen wähnt, aber nur in einer vorgegebenen Bahn kommt, glotzt und geht: der des Preises. Wer das für „alternativ“ hält, kann darunter nur „low budget Tourismus“ verstehen. Ein Indiz dafür, wie wenig diese Reisenden mit „jenem, der auszog“ gemein haben: Man kann die backpacker Touren heute unter dem Punkt „Besonderheiten“ im Lebenslauf anführen.

Und doch lohnt die Reise selbst unter diesen Bedingungen. Der Reisende hat gegenüber seinen Zeitgenossen den Vorteil für kurze Zeit aus dem allgemeinen Treiben heraustreten und diesem als untätiger Beobachter beiwohnen zu können. Das setzt zweierlei voraus: Dass der Reisende sich nicht in einen „Ersatzbetrieb“, das heißt den Massentourismus, einspannen lässt. Zusätzlich darf er die beständige Mühe nicht scheuen, zu sehen statt nur zu glotzen. Das bedeutet nicht einfach kritisch zu sein, sondern ein Auge zu haben für das, was auch da war.

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Ein Viertel verbraucht – wenn man eine viel zu optimistische Lebenserwartung zugrunde legt. Gelernt: Aufholen ist leicht; man orientiere sich an den Vordermännern. Die eigentliche Leistung beginnt allerdings erst da, wo es voranzuschreiten gilt. Das Wohin wird dabei vorläufig suspendiert.

Donnerstag, 27. September 2007

Stolz vs. Natur

Versailles. Von weitem verstellen lange Reihen von Reisebussen und eine Holzkulisse die Sicht. Auf dem Schlossplatz hat sich schon am Morgen eine lange Schlange von Menschen gebildet, die zum Glotzen in das Innere des Schlosses wollen. Unwillig hier auch nur eine Minute in der Menge zu warten, sogleich zum eintrittsfreien Park. Hoffnung: Die Natur ist unparteiisch. Dort dennoch die nächste Enttäuschung: Das Dritte Reich der Gartenkunst. Alles symmetrisch, beschnitten, geformt und genormt. Die Alleen eine einzige Linie, gesäumt von grün-braunen Pfosten, die sonst Bäume wären. Welcher Geist findet an dieser gekünstelten Natur nur Gefallen? Die Lust an dem „Garten“ verloren.

Kleine Lichtblicke: Im hinteren Drittel des Parks gibt es einige Flächen, die verwildert sind; dort bleiben einem auch die menschlichen Stative erspart, die die ihnen im Voraus bekannten Motive bereits auf den ersten hundert Metern fanden. Amüsant ein älterer Chinese, der unverständig das frivole Relief einer großen Vase begutachtet. Absurd, aber dem Charakter dieses Orts entsprechend dagegen die Touristen, die bei etwa 10 km/h in kleinen Plexiglaswürfeln vorbeigefahren werden. Andere sind verwegener und mieten ein kleines Gefährt, mit dem sie das Gelände noch schneller abklappern: Einer fährt, hält gelegentlich für einige Sekunden an, in denen die anderen fotografieren, und fährt dann weiter.

Mittwoch, 26. September 2007

Stolz in Marmor

Am Grabe Napoleons. Jede Nation hat ihr Laster. Bei den Franzosen ist es ein historischer Stolz, der den Teufelspakt nicht scheut. So wird ein Diktator nur wenige Jahrzehnte nach seiner Verbannung zum Nationalhelden: Unter ihm war das Land, was es nie wieder werden sollte. Hat er denn nicht den Ländern, die er unterwarf, auch Gutes gebracht? Und doch verwundert, ja verärgert es, dass gerade das Land der Aufklärung einem der „großen Männer der Geschichte“ aufsitzt. Hochmut war einst eine Todsünde.

Dienstag, 25. September 2007

Stolz in Stein

Cimetiére de Pére Lachaise. Ein weiterer Spielplatz der Eitelkeiten. Schon am Metroausgang werden Friedhofskarten (2,50 €) verkauft. Gleich daneben macht ein Florist ein gutes Geschäft mit astronomisch teuren und einfallslos langweiligen Friedhofssträußen. Wer trotz dieser schlechten Vorzeichen den Friedhof betritt, muss sich in Gleichmut üben: Überall Touristen, die in Shorts und mit Kleinbildkameras bewaffnet die strategischen Punkte auf der Karte (2,50 €) ablaufen. Gespräch eines amerikanischen Paares, das nach dem Eintreten sogleich den Lageplan angesteuert hat: „Edith Piaf?“ „Here!“ „Jim Morrison?“ „No. 30“ „Oscar Wilde?“ „89“.

Man kann nicht sagen, dass der Friedhof durch die Touristen verschandelt würde. Vielmehr ist er auf solche Spielchen hin ausgelegt. Beim Gang durch die widerwärtig symmetrische Nekropole, bei der nach absehbarem Muster eine Gruft die andere zu übertreffen sucht, weitere Beobachtungen, die zum Verdruss beitragen. So das Grabmal aus schwarzem Marmor, das mit einem Hochdruckstrahl gesäubert wird oder die verfallene Gruft, die mit Gips erneuert wird. Das Grab Morrisons ist erstaunlich schlicht; der enttäuschte Kanadier, wie alle anderen, die zuerst hierhin kommen, fotografiert es trotzdem. Wieder absurde Umstände: Ein hüfthoher Metallzaun, wie er sonst genutzt wird, um die Menge zu leiten, verleiht dem Grab letzte Promihässlichkeit. Außerdem stehen in unmittelbarer Nähe gleich drei Wächter, die sich gelangweilt unterhalten. Immerhin ersparen ein Zaun und drei Wächter Morrison das Schicksal Wildes. Eine Verehrerin hat dessen schlichtes Grab durch einen hässlichen Block samt Sphinx ersetzt. Er ist übersät mit Lippenstift; Siege eines ewigen Dandy. Es sind auch viele Kritzeleien auf dem Stein, der bereits 1992 restauriert wurde und, wie die Plakette warnt, unter Denkmalschutz steht. Eine Nachricht fällt auf: „A toi, mon homme de papier. Alissia.“

Zu den guten Dingen an diesem Ort: Einige Grüfte sind aufgebrochen und geplündert oder werden als Vorratskammern genutzt. In einer scheint ein Obdachloser zu wohnen. Am Krematorium tausende von Alkoven, deren Namen teilweise bis zu 150 Jahre zurückreichen. Der 20jährige, der vor zwei Jahren starb, liegt neben dem Herren aus dem fin de siecle. Schön die alten Titel wie „Madame Veuve…“, auf die seit drei Jahrzehnten nicht mehr zu finden sind. Am besten die Gedenkplatten aus schwarzem Marmor, in denen sich der Betrachtende erblickt.

Cimetiére de Montparnasse. Die alte Misere; doch sind die Karten dieses Mal umsonst. Gute, weil schlichte Gräber Baudelaires, Beauvoirs/Sartres, Huysmans und Becketts. Zu Huysmans Grab führt ein älterer Herr, der schon oft den Umherirrenden ausgeholfen hat. Auf die Frage, ober auch ein Besucher sei, antwortet er: „I am a client.“ Bewundernswert, dass in seinen Worten nicht der geringste Zynismus enthalten war.

Auf Becketts Grabplatte nur noch der Nachnahme ohne jede weitere Information, obwohl seine Frau ebenfalls darunter bestattet liegt. Das ist der absolute Tiefpunkt; hier ist keine Heilsgewissheit mehr. Über seinem Grabe sinnt eine violett gekleidete, junge Dame bei einer Zigarette. Sie lässt sich von den anderen Besuchern nicht im Geringsten stören und beweist damit einen überaus eleganten Stoizismus. Solche Momente dürfen trotz Interesses nicht durch Worte zerstört werden. Schweigend weiter.

Montag, 24. September 2007

Ein halber Tag im Leben eines Kunsthistorikers

Louvre. Es ist fragwürdig, warum heute noch Kunst auf diese Weise präsentiert werden muss. Überall Besucherscharen, die, um die Sache abzukürzen, durch Hinweisschilder zu den „Highlights“ geleitet werden, diese unter Beschuss nehmen oder einfach nur anglotzen, und dann zum nächsten Punkt auf der Karte wandern. Vor allem bei der Mona Lisa nimmt das absurde Züge an. Man kann sich ihr nicht nähern, weil die Menge in dem Leitsystem, das zu ihr führt, verkeilt ist. Von allen Seiten blitzt es auf. Gegenüber stellen Besucher sich vor den Veronese und schauen tapfer drein, während die Fotoapparate in Anschlag gebracht werden und es vielfach aufblitzt. An solchen Szenen verliert man rasch das Interesse und sucht besser das Heil in der Flucht.

Mit der restlichen Zeit getan, was sich stets in Zeitspeichern empfiehlt: physiognomische Studien betreiben. Mit Erheiterung festgestellt, dass der Blick dabei gelegentlich von den Gemälden und Büsten auf die Gesichter der Besucher abdriftet. Nicht weniger amüsant der vertrocknete Kunstpudel, der mit ernster Kennermiene den schönen Arsch der Psyche begutachtet. – „Finger im Po, Mexiko / Paris, Athen, Auf Wiedersehen“.

Es wäre wünschenswert, wenn diese Orte geschlossen würden und das so eingesparte Geld zu einem kleinen Teil der Forschung, zu einem großen neuen Digitalisierungstechniken zugute käme. Damit entfiele der quälende Besuch der Museen. Vielleicht verleiht die Ausstellung in einem eigens dafür konstruierten Raum dem Bilde tatsächlich etwas Einzigartiges, das von keinem Medium reproduziert werden kann – ob aber auch die schwitzend-schwatzenden Besuchermengen vor ihm zu seiner „Aura“ beitragen? Zu rechnen ist mit derart radikalen Politiken ohnehin nicht. Zu stark sind noch immer die Entscheidungen und Mittel des 19. Jahrhunderts und das Interesse, mit dem so genehmen Mittel der Kultur Macht zu demonstrieren. Ein Blick auf Ausmaß und Fassade derjenigen Gebäude, die eigentlich nur Speicher sein sollen, genügt um Zweck und Mittel in diesem Kalkül zu erkennen.

Sonntag, 23. September 2007

Der Straßenkünstler

Vor dem Centre Pompidou. Ein Straßenkünstler unterhält die Menge – so scheint es zumindest. Tatsächlich hält er sie in seinem Bann. Er jongliert und führt sehr geschickt akrobatische Kunststücke vor. Dabei feuert er die Menge an. Seinem beschwörenden Französisch-Englisch mag sich kaum einer entziehen. Als einer der Flanken sich aufzulösen beginnt, springt er zu ihnen hin und führt die verlorenen Schafe zu der Herde direkt an seinem Platz zurück. Selbst mit dem Vorsatz, nicht seiner Darbietung, sondern seiner Arbeitsweise zusehen zu wollen, geht von diesem Manne Faszination aus. Er hat sowohl seinen athletischen Körper bis zur letzten Faser im Griff, als auch die Menge, die sich noch immer von ihm amüsiert wähnt. Ein solcher Mann könnte es wohl überall weit bringen. Zugleich erweckt er den Eindruck, dass sein Zauber mit einem Male wirkungslos würde, steckte man ihn in einen Anzug und stellte ihn vor Wähler oder Aktionäre. Solche Leute brauchen wohl die absolute und das heißt: die Freiheit der Narren und Schausteller, um gedeihen zu können. Und doch: in einer etwas besseren Welt würde er zumindest nebenbei an der Schule lehren – Sport und Philosophie, als ein Fach.

Samstag, 22. September 2007

Kater

Cimetiére de Montmartre. Die Sonne hinter einem Aluminiumhimmel versteckt, nur gelegentlich dringen schmerzhafte Strahlen durch. Das erste Laub liegt auf dem Kopfsteinpflaster und raschelt unter müden Schritten. Hier und da andere Besucher, die die großen Namen der Beerdigten ablaufen. Ihnen wird einiges geboten; mit seinen ungemein vielen Grüften und Skulpturen wirkt der Friedhof wie eine Nekropole. Hier ist eindeutig, für wen solche Orte eigentlich gemacht sind: Überall prangen die Familiennamen, die gewesene Biosubstanz der Stadt.

All diese Gefallsucht widert an; dem Tod wird kein Raum gelassen. Einer der Besucher sprach zu Recht nicht von Verfall, sondern davon, dass einige der Grabkammern schon „heruntergekommen“ seien, der Besuch es aber doch wert ist. Der Friedhof passt zu der Stadt und dem eitlen Stolz, den ihre Gebäude überall ausstrahlen. Jedes von ihnen versucht, das andere noch zu übertrumpfen, jedes Grabmal den Blick der Lebenden möglichst auf sich zu ziehen. Das führt zu einer Billigkeit, die aus Übermaß erwächst.


Sonntag, 16. September 2007

Privilegien II

Sonne, Elite. Nicht unter 1,5 [Flaschen Wein]. Hahnenschrei oder Blöken? Blut, erhitzt bei hoher Luftfeuchtigkeit und berechneter Raumtemperatur. „Post-Nachkriegszeit.“ Schwimmen, Sterne, Strandgut schmort. „Reaktiv reagieren“. Und zwischendurch verdauen, sowohl Fisch als auch Fleisch. Jubel: Wein für alle! Verständigungsfragen? – „And the princess and the prince discussed what’s real, and what’s not.“

Freitag, 14. September 2007

Verlorene Posten II


Abends Spaziergang an der Küste. Teile des „Atlantikwalls“. Die Bunker sind verschüttet, aus den Schießscharten grünt es. Einige wenige Bunker sind noch begehbar. Blick durch die Schießscharte, während draußen unendlich langsam die Abendsonne niedergeht. Wellen, Wind – sie haben das Leid in und vor solchen Posten längst davongetragen. Ein letzter Blick durch die Scharte: Eine streng gerahmte Welt; man sieht, was man sehen soll. Verstimmt zurück.

Sonntag, 9. September 2007

Gleichnis

Sacré Coeur. Wie oft an solchen Orten ersetzt das Museale die verlorene Funktion. Man kommt hinein und gerät sogleich in den zähflüssigen Besucherstrom. Wächter walten mit Ernsthaftigkeit ihres Amtes. So muss eine Chinesin ihre bloßen Schultern bedecken. Amüsant, dass der Hinweis von einem indischen Wächter kommt.

Im Inneren kann man kleine und große Kerzen zu 2 oder 10 € kaufen Ein Asiate, der daran vorbeigeht, teilt es sogleich lachend seiner Gruppe mit. Seltsam: Auch wenn keine Bindung zu einem solchen Ort besteht, so widert dieses Verhalten doch an. Trotz ihres Substanzverlustes strahlt die Kathedrale nach; das, wofür sie stand, kann noch in den Dreck gezogen werden.

Draußen Menge der Touristen und derjenigen, die von ihnen leben. Ganze Straßenzüge scheinen nur zu diesem Geschäft geschaffen, ganz so als hätte es die Gleichnis von den Kaufleuten im Tempel nie gegeben. Wer aber wagte es heute die Krämer der Kirchen zu verweisen?

Donnerstag, 6. September 2007

Privilegien I

Kassel, Unternehmensethik. Wir verziffern die Welt und haben Spaß dabei. Ethik: Was soll ich tun? Funktionalisiert und als Dienstleistung angeboten: Handle so, dass deine Kosten sich rechnen.

Samstag, 1. September 2007

Rückkehr

Nachts festgesetzt in Hannover. Asyl in einer Bahnhofskneipe. Am deutschen Wesen genesen: Schlager bis 4.00, Bier nur gegen Sofortbezahlung. Zwei Afrikanerinnen zanken mit einem betrunkenen Polen, der Deutsche zwischen ihnen brabbelt in eine andere Welt hinein; alle schunkeln zu Heino. – „Aw, mama, is this really the end?“