"Es gibt nur eine Maxime - das ist die, daß man sich mit dem Tode befreunden muß." (Jünger, Strahlungen)

Dienstag, 25. September 2007

Stolz in Stein

Cimetiére de Pére Lachaise. Ein weiterer Spielplatz der Eitelkeiten. Schon am Metroausgang werden Friedhofskarten (2,50 €) verkauft. Gleich daneben macht ein Florist ein gutes Geschäft mit astronomisch teuren und einfallslos langweiligen Friedhofssträußen. Wer trotz dieser schlechten Vorzeichen den Friedhof betritt, muss sich in Gleichmut üben: Überall Touristen, die in Shorts und mit Kleinbildkameras bewaffnet die strategischen Punkte auf der Karte (2,50 €) ablaufen. Gespräch eines amerikanischen Paares, das nach dem Eintreten sogleich den Lageplan angesteuert hat: „Edith Piaf?“ „Here!“ „Jim Morrison?“ „No. 30“ „Oscar Wilde?“ „89“.

Man kann nicht sagen, dass der Friedhof durch die Touristen verschandelt würde. Vielmehr ist er auf solche Spielchen hin ausgelegt. Beim Gang durch die widerwärtig symmetrische Nekropole, bei der nach absehbarem Muster eine Gruft die andere zu übertreffen sucht, weitere Beobachtungen, die zum Verdruss beitragen. So das Grabmal aus schwarzem Marmor, das mit einem Hochdruckstrahl gesäubert wird oder die verfallene Gruft, die mit Gips erneuert wird. Das Grab Morrisons ist erstaunlich schlicht; der enttäuschte Kanadier, wie alle anderen, die zuerst hierhin kommen, fotografiert es trotzdem. Wieder absurde Umstände: Ein hüfthoher Metallzaun, wie er sonst genutzt wird, um die Menge zu leiten, verleiht dem Grab letzte Promihässlichkeit. Außerdem stehen in unmittelbarer Nähe gleich drei Wächter, die sich gelangweilt unterhalten. Immerhin ersparen ein Zaun und drei Wächter Morrison das Schicksal Wildes. Eine Verehrerin hat dessen schlichtes Grab durch einen hässlichen Block samt Sphinx ersetzt. Er ist übersät mit Lippenstift; Siege eines ewigen Dandy. Es sind auch viele Kritzeleien auf dem Stein, der bereits 1992 restauriert wurde und, wie die Plakette warnt, unter Denkmalschutz steht. Eine Nachricht fällt auf: „A toi, mon homme de papier. Alissia.“

Zu den guten Dingen an diesem Ort: Einige Grüfte sind aufgebrochen und geplündert oder werden als Vorratskammern genutzt. In einer scheint ein Obdachloser zu wohnen. Am Krematorium tausende von Alkoven, deren Namen teilweise bis zu 150 Jahre zurückreichen. Der 20jährige, der vor zwei Jahren starb, liegt neben dem Herren aus dem fin de siecle. Schön die alten Titel wie „Madame Veuve…“, auf die seit drei Jahrzehnten nicht mehr zu finden sind. Am besten die Gedenkplatten aus schwarzem Marmor, in denen sich der Betrachtende erblickt.

Cimetiére de Montparnasse. Die alte Misere; doch sind die Karten dieses Mal umsonst. Gute, weil schlichte Gräber Baudelaires, Beauvoirs/Sartres, Huysmans und Becketts. Zu Huysmans Grab führt ein älterer Herr, der schon oft den Umherirrenden ausgeholfen hat. Auf die Frage, ober auch ein Besucher sei, antwortet er: „I am a client.“ Bewundernswert, dass in seinen Worten nicht der geringste Zynismus enthalten war.

Auf Becketts Grabplatte nur noch der Nachnahme ohne jede weitere Information, obwohl seine Frau ebenfalls darunter bestattet liegt. Das ist der absolute Tiefpunkt; hier ist keine Heilsgewissheit mehr. Über seinem Grabe sinnt eine violett gekleidete, junge Dame bei einer Zigarette. Sie lässt sich von den anderen Besuchern nicht im Geringsten stören und beweist damit einen überaus eleganten Stoizismus. Solche Momente dürfen trotz Interesses nicht durch Worte zerstört werden. Schweigend weiter.