"Es gibt nur eine Maxime - das ist die, daß man sich mit dem Tode befreunden muß." (Jünger, Strahlungen)

Dienstag, 31. Juli 2007

Metropolis XII

British Museum aus chinesischer Sicht: Ein Hort aus aller Welt zusammengeraffter Kultur, Beute eines gewesenen Empire. Der erste Eindruck trügte also nicht. Zugleich die Frage, was hier rein monetär die wertvollsten Stücke seien.


Gute Bilder für den Geist der Stadt: Ein junger Mann in Maßanzug, der auf einer Vespa den zahllosen Zerstreuungen der Stadt entgegenfährt. Zuvor auf einer Wiese mit Touristen und sich erholenden Londonern; der Obdachlose, der hier mit seinem ganzen Hab und Gut schlief, fiel nicht auf. Vermutlich bliebe auch sein Tod einige Stunden unbemerkt.

Humanismus

Aus dem seriösen Qualitätsjournalismus:

"Zivile Opfer: Nato will kleinere Bomben in Afghanistan werfen"

Donnerstag, 26. Juli 2007

Schmetterling

Ein Schmetterling fliegt über den Kieselpfad. Er streift den Schuh. Der Gedanke zuzutreten verfliegt so rasch wie er kam: Das ist doch ein Schmetterling! Bei einer Fliege, einer Mücke oder einem Kartoffelkäfer gäbe es dagegen weniger Bedenken. Das Kind lernt, die Schönheit eines Schmetterlings oder den Fleiß einer Ameise zu achten und "Schädlinge", "Ungeziefer" sowie "Geschmeiß" zu meiden und zu verachten. Ein Maßstab, der die Welt verkehrt und schon viel Unglück hervorgebracht hat. - Der Schmetterling flattert davon.

Montag, 23. Juli 2007

Dekadenz III

Alnwick Castle. Sehr gut erhaltene, „wie neue“ Schlossanlage. Hier wurden die Harry Potter Filme gedreht und der Name fällt entsprechend oft, öfter als der Name der Schlossherren. Es sind die Percys, die Earls und Dukes von Northumberland, deren Sippe die Anlage seit dem 14. Jahrhundert bewohnt.

In den repräsentativen Räumen wie Bibliothek und Speisesaal verschandeln neben anderen Geschmacklosigkeiten wie den drei ausgestopften Familienhunden vor allem die Familienfotos die museale Atmosphäre, in der selbst der Staub seine Geschichte zu haben scheint. Eine Engländerin betrachtet ein peinliches Urlaubsfoto und stellt überrascht fest, dass diese Leute gewöhnlich aussähen. In den Ecken Wärter, von denen einige die Arroganz der Lakaien großer Herren ausstrahlen. Eine von ihnen ist mit Seidenschal und herrischer Gouvernantenstimme bewaffnet. Auf die Frage, warum die Öffentlichkeit diese Räume überhaupt betreten dürfe, wenn sie doch noch von den Percys bewohnt werden, antwortet sie: „The family wants to make the precious antiques available to the public.“ Nach einer kurzen Pause: „And it helps to sustain the castle.“

Die Antwort bezeichnet das Ironische solcher Orte. Sie gehören Relikten der Geschichte, die bis auf einen klingenden Namen nur noch wenig haben und auf die Eintrittsgelder des Pöbels angewiesen sind, um wenigstens ihre ererbten Statussymbole behalten zu können. Obwohl es noch immer einige Einfältige gibt, die von einer alten Rangordnung ausgehen und in diesen Leuten etwas Besonderes sehen wollen, sind Bedeutung und Wirkung des Adels längst verkommen. Es erfüllt mit Genugtuung, in solche Räume einzutreten und sich von ihrem Interieur ostentativ anwidern zu lassen. Man nimmt damit sowohl der Sippe wie dem Ort die mühsam inszenierte Restwürde. Jahrhunderte lang haben ihre Vorfahren Land und Leute abgeschöpft, um all das hier zu schaffen und von Generation zu Generation weiterzugeben; heute kommen die Nachfahren jener Leute, um einen Sonntagnachmittag in diesem historischen Curiositätenkabinett zu verbringen und die Fotos einiger seltsam benannter Zootiere zu begaffen. Vielleicht ist das auf lange Sicht der größte Vorzug der Demokratie: Die alten Herren sind gefallen oder zu Witzfiguren verkommen und die Arbeitsleistungen der Allgemeinheit fallen wieder der Allgemeinheit zu. – So führt Verfall zu Klärung.

Sonntag, 22. Juli 2007

Dekadenz II

Im Grunde genommen ist Des Esseintes Idealist radikalster Schule. Mit der gemeinen Welt kann er spielen, sie aber nicht akzeptieren. Er führt daher seinen ererbten Reichtum einem guten Zwecke zu und schafft sich im ländlichen Exil seine eigene künstliche Welt. Wie jeder vorwiegend geistige Bau ist sie eine schlechte Wohnstätte. Sein Arzt, nicht zufällig als "Mann von Welt" charakterisiert, rät ihm am Ende des Buches folglich zur Rückkehr in das verabscheute Paris, das heißt: in die Wirklichkeit.


Des Esseintes' Haltung ist respektabel, aber in jeder Hinsicht unpraktisch und "künstlich" durch und durch. Selbst wenn er könnte, kämpfte er nicht um sein Leben, sondern verschaffte sich einen letzten Genuss, indem er den Untergang der Titanic in allen Nuancen zu erfassen versuchte. Seine Pläne sind von bestechender Präzision, lassen aber die banalsten Tatsachen außer Acht und müssen daher scheitern. Ein Brief seines alten Vorbilds Zola ist bezeichnend: Der Intellektuelle, der auch heutigen Anforderungen an die instrumentelle Intelligenz entspräche, ging nach der Lektüre von A rebours alle Bilder im Einzelnen durch. Das zentrale Bild der vergoldeten Schildkröte lobte er, gab jedoch zu bedenken: "Eine bourgeoise Sorge hat mich beschäftigt; glücklicherweise stirbt das Tier, denn es hätte sonst auf den Teppich gekackt."

Samstag, 21. Juli 2007

Dekadenz

Huysman, A rebours. Beeindruckender Materialismus bis in kleinste Verästelungen hinein; in Details sowie der generellen Kraftlosigkeit allerdings abstoßend. Am stärksten das Kapitel über die Schildkröte, die Des Esseintes, der Protagonist, erst vergolden, anschließend mit Juwelen verzieren lässt, damit sie farblich zu seinem Teppich passe. Der Versuch, die Natur durch ein Höchstmaß an Kunst zu übertreffen; die Schildkröte geht ein. Dieses Bild kann die restliche Lektüre ersparen, die sich größtenteils verliert in Zergliederungen feinster Sinneseindrücke, Huysmans' persönlicher (und verstaubter) Literaturkritik und immer wieder sympathischen, aber vorhersehbaren Gewetters gegen das elende Jahrhundert und seine Schmierendarsteller. Des Esseintes Anmaßungen dagegen, die Natur und die Gesellschaft, manipulieren zu können, ragen aus diesem Einerlei heraus: So sein Versuch, einen Jungen drei Monate lang in ein Bordell mitzunehmen, ihm dann jedoch die weitere Finanzierung dieser Vergnügen zu versagen und damit hoffentlich einen Verbrecher aus ihm zu machen, der stehlen und morden muss, um seine Lust weiterhin zu befriedigen, und damit der verhassten Gesellschaft schadet. Ebenso der Kauf abscheulicher Pflanzen, die aussehen, als seien sie von Menschenhand oder aus menschlicher Verwesung gemacht.

Des Esseintes gilt als Ahnherr der Décadents und Typen wie Patrick Bateman oder der kürzlich verstorbene "Ur-Ur-Enkel" Bismarcks werden mit ihm verglichen. Ein dummer Vergleich, der nur zeigt, dass es keine Dandys mehr gibt. Überdurchschnittlich viel Geld für Wein, Weib und Gesang auszugeben, Perversionen zu kultivieren, die heute allenfalls "special interests", wenn nicht gang und gäbe sind, und - wie jener "Bismarck" - Frauen mit einem geistlosen "Verehrteste, um Ihrem Hals müssten Diamanten hängen!" zu begrüßen, machen noch längst nicht den verfeinerten Kunstmenschen aus. Dazu passt auch der Bedeutungsverlust des Begriffs "Dekadenz"; dieser Tage ist damit vor allem der Verfall gemeint, der korrumpierte und korrumpierende Konsum, nicht mehr aber die letzte Stufe einer Entwicklung, die zur vollsten Blüte treibt, ehe die Blätter verbraucht zu Boden sinken. Des Esseintes ist im 21. Jahrhundert unvorstellbar; die Voraussetzungen fehlen - sie sind in den Ruinen des bürgerlichen Zeitalters verloren gegangen.


Heute könnte Des Esseintes einen neuen, popkulturellen Namen annehmen, halb Pin-up, halb Massenmörder, und mit seinen Marotten viel Geld verdienen. Anschließend würde er wegen Tierquälerei verklagt werden. - Die "Nützlichkeitsapostel" haben gesiegt.

Freitag, 20. Juli 2007

Regentropfen

Aus einem Brief:

"Was mir an den Intellektuellen und ihrer Weltenschau so zuwider ist, ist ihr Hang zum Egozentrismus: Dieses Getue, einzigartig und erhaben zu sein, diese Neigung, das Innenleben mit dem eigentlichen Leben zu verwechseln, diese Arroganz gegenüber der nackten Materie, der Natur der Dinge! Ich kann vieles von dem, was diese Leute geschaffen haben und vor allem heute hervorbringen, nicht ertragen. Ich will stattdessen Worte, Bilder und Musik von Menschen, die wissen, dass sie nicht mehr als Regentropfen im Leben sind: In ihnen spiegelt sich die Um-Welt für die lächerlich zufällige Dauer ihres Lebens und seiner nicht minder zufälligen Umstände. Was solche Menschen hinterlassen, ist nichts anderes als protokollierte Wahrnehmung und sie ist in dem Maße wertvoll, in dem sie über die Einzelnen und ihre Nichtigkeit hinausgeht. Nur solche Protokolle verdienen das schon stark abgegriffene Prädikat „klassisch“."

Mittwoch, 18. Juli 2007

Gott & Geld

Tagesschau, Bericht von der Börse. Laut Umfragen des "Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung" ist die Konjunkturstimmung gedämpft. Der Börsenkorrespondent: "Die Unternehmen sind etwas optimistischer, äh, pessimistischer geworden und haben dementsprechend die Konjunkturaussichten relativ schwarz gemalt für die letzten, äh, die nächsten Monate". - Man mag dem Mann keinen Strick aus seinen Versprechern drehen; er ist in einer schwierigen Lage: Jeden Tag verziffert er gemeinsam mit anderen "Experten" das Handeln von Milliarden von Menschen und kommt dabei erstaunlicherweise nur zu allgemeinsten Aussagen. Wie der Priester jedoch muss er diese Binsenweisheiten zu jedem tagesaktuellem Anlass predigen können ohne die Herde mit verdächtig viel Gleichmaß zu verdrießen. Gott und Geld - die folgenreichsten Erfindungen menschlicher Eitelkeit. Der Glaube an das Geld anerkennt immerhin den Tod als das Ende dieser Spielereien.

Montag, 16. Juli 2007

Haltungen

Ein Frosch sitzt bewegungslos am Straßenrand. Autos rasen dicht an ihm vorbei. Selbst beim Näherkommen bewegt er sich nicht. Eine beeindruckende Ruhe inmitten der Gefahr. Er wird erst dann springen, wenn es notwendig ist.

In diesem Lande ist die "stiff upper lip" schon vor einiger Zeit aus der Mode gekommen. Stattdessen wie überall im Gefolge von Angebot und Nachfrage die gespielte Emotion derer, die sich verkaufen müssen. Gesten einer falschen Nähe und affektierte Mimik im Zusammenspiel mit maßloser Emphase. Es reicht nicht, dass Waren und Leistungen verkauft werden; Umstände und Vorgang des Verkaufs lassen sich ebenfalls verkaufen.

Gleichwohl gehört das zu den Formen dieser Zeit; wie früher Zöpfe, wallendes Haupthaar, Pulver und Perücken, so zieren heute gebleichte Zähne und das digital wie chirurgisch nachbearbeitete Gesicht die bel étage der Gesellschaft. Eine ehrgeizige und aufstiegswillige Mitte ahmt die Vorgaben nach und macht sie erst „populär“, dieweil unten für derartige Spitzfindigkeiten weder Sinn noch Geld besteht.

Freitag, 13. Juli 2007

Positionsrahmen einfügen

Traum. Bei Nacht auf einem Friedhof, um ein offenes Grab mit Erde zuzuschaufeln. Diese stammt von einem benachbarten Grabhügel, darin verscharrt ein granitener Grabstein, der schon bei sanfter Berührung zerbröselte. Ein unbekannter Samariter hilft bei der nicht enden wollenden Arbeit. Am selben Tage dann ein unerwarteter Abschied.

Man kann es sich leicht machen und so etwas ignorieren. Ebenso leicht: Darin verworrene Verknüpfungen von Motiven, Gedanken, Erinnerungen usw. zu sehen, es also "zu erledigen". Wie erklärt sich aber die zeitliche Präzision? - Überflüssige Gedanken, die ein bekanntes, aber nutzloses Phänomen ergründen wollen - aus solchen unbestimmten Bildern Handlungsanleitungen gewinnen zu wollen, wäre töricht.

Der Wert liegt stattdessen in der Rückschau. So ging diesem merkwürdigen Ende ein nicht minder merkwürdiger Beginn voran; der flüchtige Eindruck eines Schädels in den Zügen der Unbekannten war vor Jahren eine Notiz wert. Heute erfährt er ein angemessenes Ende. - Das war's dann wohl: Ein Zwinkern des Universums.

Sarkastisch auch ein anderer, älterer Traum. Die Wahl, entweder zu einem hundertjährigen Bettlägrigen in seiner hohen Zitadelle hinaufzusteigen oder in einem flachen Nebenbau einen der großen Skarabäen aus Gold mitzunehmen. Damals kryptisches, gleichwohl dunkel verstandenes Vexierbild. Aus der Rückschau eine gute Pointe. - Je regarde et je garde.

Mittwoch, 11. Juli 2007

conquer & devour

N., Chinatown. "Hot pot" Büfett, passender: "all you can eat" des Unaussprechlichen. Es werden gereicht: Zungen, Eingeweide, Mägen, Geschlechtsteile und amorphes Gewebe. Diese werden dann in eine siedende Brühe geworfen, nach einigen Minuten herausgefischt und hinabgeschlungen. Fragen, was dieses oder jenes genau gewesen sei, bleiben unbeantwortet. "Spezialitäten". Durch die scharfen Gewürze und das Öl schmeckt alles ohnehin ähnlich und kann wegen der gummiartigen Konsistenz nur heruntergewürgt, nicht zerbissen werden. Zusätzlich gilt es ökonomisch zu essen: So viel wie möglich und nur die teuersten "Spezialitäten", damit sich der Besuch auch lohne. Eine Geschäftstüchtigkeit, bei der einem aller Appetit vergeht: So schmeckt also der Sieg der Ziffer.

Später an einem der zahlreichen Orte, an denen das Leben billig und willig ist. Auch hier nimmt die Ziffer der Sache allen Reiz; lustlos und mechanisch verzehrt Massenware sich selbst. Hier sind alle Siege nur kurzweilig und widern schon bei der ersten Berührung an. Wer bestehen will, braucht Kaninchenmut.

Dienstag, 10. Juli 2007

Aus Kühlkammern

Borowski, Proszę Państwa do gazu (Bitte, die Herrschaften zum Gas). Skelettierter, am Faktischen gebildeter Stil. Nimmt seine Zeit in Auschwitz zur Kenntnis wie man eine Straßenszene oder ein Billardspiel zur Kenntnis nimmt. Da konnte bei aller Zustimmung nach dem Kriege der Vorwurf des Nihilismus und des Zynismus nicht ausbleiben. Tatsächlich trägt eine solche Bejahung der eigenen Existenz zynische Züge. Über den Rabbi, der in der Baracke laut aus einem hebräischen Gebetbuch vorliest ("im Lager besteht kein Mangel an solcher Literatur"), regt der Erzähler sich nicht auf: "Sie werden ihn so noch eher in den Ofen schicken". Generell seine Arbeit in einem Kommando, das einfahrende Züge empfing, "entlud" und die Neuangekommenen Richtung Gas weiterleitete. Bei der abschließenden Säuberung der Wagons trug er groteske Kinderleichen "wie Hühner" hinaus. Sein Zynismus ging über Auschwitz hinaus; 1951 wählte er den Freitod, indem er sich in seiner Wohnung selbst vergaste.

Später erneut Lord of War. Brillante Satire des internationalen Waffenhandels und etwas mehr. Der Waffenhändler führt nicht nur seinen Beruf mit großer Sachlichkeit und Effizienz aus, sondern überträgt diese Prinzipien auf sein restliches Leben, das damit zur Ableitung wird: Er inszeniert Zufälle und Zusammenhänge, die Glück simulieren. Der Bruder, die Frau und der Sohn sind Größen, die zunächst aufgehen, dann aber der Filmlogik folgend erst unsicher werden und schließlich die Gleichung sprengen. Trotzdem, und das ist bezeichnend, wird der "lord of war" zwar bestraft, nicht aber geläutert - sein Prinzip hat sich bewährt und er darf weiter seine Funktion erfüllen.

Das Leben als Uhrwerk, das zwar äußerst unzuverlässig, aber doch ausreichend absehbar arbeitet, und zwei Charaktere, die ihre Position und die Anderer darin erkennen und auch etwas von seiner Funktionsweise verstehen. Der Zynismus ist dabei nur der äußere Schein einer unerschütterlichen Haltung, eines reduzierten Stoizismus, der ohne ideologischen Überbau auskommt und ganz auf dem Einzelnen als seinem Träger gründet. Der Waffenhändler braucht zuletzt nur drei Zeilen, um seine vorangehenden Taten und ihren Mangel an Moral zu erklären: "That is the secret to survival: Never go to war. Especially with yourself."

Sonntag, 8. Juli 2007

Ministry of Peace

Ein hochdekorierter Admiral und ehemaliger "First Sea Lord" wird "Sicherheitsminister". Wenige Tage darauf gibt er in einem Interview wenig Überraschendes bekannt. Er, der seit seiner Jugend der Royal Navy gedient hat, verabscheue die Bezeichnung "war on terrorism", weil sie den Wert des Krieges herabsetze. Es sei nun auch die Zeit gekommen, da die Briten sich unbritisch verhalten müssten; "Verpfeiffen" und der Gang zu den "Behörden" seien nun gefragt: "I'm afraid, in this situation, anyone who's got any information should say something because the people we are talking about are trying to destroy our entire way of life." Ob darunter auch der Aufruf zur Zerstörung der "Britishness" fällt? Vermutlich nicht, denn in 10 bis 15 Jahren soll die Anti-Terror-Strategie der vier Ps (prepare, protect, pursue, prevent) erfolgreich abgeschlossen sein. - Und in dieser Zeit herrschte große Verwirrung, ob der Krieg gegen Eastasia oder Eurasia geführt wurde.

Samstag, 7. Juli 2007

Geburtsschmerz

Eines der frühesten Argumente für den Pessimismus war die Geburt. Warum war das Leben schlecht? Weil schon die Geburt Schmerz bedeutete und das Kind dabei schrie. Mehr Bild als Argument, eine einfache Beobachtung samt einfacher Erklärung. Aber hat sich seit dieser Zeit etwas verändert? Liegt nicht noch immer in jeder Geburt notwendigerweise viel Schmerz, die das neue Leben in dieser Welt willkommen heißt? Dagegen ist es möglich aus derselben "zu entschlafen". Gleichzeitigkeiten, die schwer zu verstehen sind und um die sich das Leben zu Recht nicht schert.

Das Relief

Zu den lehrreichsten, gleichwohl undankbarsten Erfahrungen gehört die Begegnung mit dem Relief. Gewohnt, großflächig zu sehen, wird das feingearbeitete Relief auf den ersten Blick gefangen nehmen. Es wird lange Zeit erstaunen, wie sich Licht und Schatten in ihm vereinigen und beide ihm seine ungewöhnliche Tiefe verleihen. Wie oft wird man vor ihm stehen, bewundernd, Zeit und Raum vergessend, nur um diese Tiefe zu ergründen. Vielleicht denkt man dabei: Wer nur hat Dich erschaffen? Doch irgendwann kommt die Zeit, da man seine Rückseite findet. Vielleicht hat ein mitleidvoller Fremder darauf hingewiesen, vielleicht fragte man sich auch, wie das Licht wohl aus einem anderen Winkel einfalle. Die Enttäuschung ist dann so groß wie die Fallhöhe, aus der die Bewunderung nun stürzt. Die Rückseite ist platt, glatt, matt. Härte und Temperatur des undurchdringlichen Materials werden erst jetzt bewusst. Wer nur hat Dich so erschaffen, mag man fragen – und lachend davongehen.

Mittwoch, 4. Juli 2007

Dr Death

Die Verdächtigen sind Ärzte oder Medizinstudenten, einer ist Laborant. Damit hat der Feind eine weitere Schwachstelle ausfindig gemacht und ausgenutzt. Auch ist es ein Indiz für seine Niedertracht: Nicht das Ausnutzen muss ihm übel genommen werden, sondern das Verdächtigmachen bisher unbescholten gebliebener Gruppen und Institutionen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch Kinder zum Einsatz kommen. In konventionellen Kriegen hat man ihre Brauchbarkeit längst bewiesen. Sobald die geeigneten Kontrollmechanismen gefunden sind, werden auch sie Bomben tragen; der Verdacht wird sich tiefer in die Gesellschaft fressen.

Schon jetzt sitzt er tief. Nicht die zusätzlich aufgebrachten Polizisten, in deren Gewehrmündungen die Antwort des Leviathans aufblitzt, sind die erste Folge der Anschläge. Es ist das tiefere Misstrauen, mit dem man etwa die Studenten aus dem Nahen Osten beobachtet. Nicht Bösartigkeit oder Xenophobie schüren die Ressentiments.
Vielmehr ist ein Zustand erreicht, in dem man nicht mehr wissen kann, wer die anderen sind.

Dienstag, 3. Juli 2007

Papier & Tinte

Die Japanerin sieht einen vierseitigen Brief auf dem Tisch liegen und staunt, wie viel das sei. Eindruck, sie setze das Schreiben eines Briefes mit dem Ausfüllen vieler leerer Seiten gleich. Dabei ist der Brief im Gegenteil eine konzentrierte Form der Kommunikation. Er verlangt ein gespanntes Bewusstsein und fördert das Denken schon rein mechanisch.

Leider entspricht das nicht dem heutigen Stellenwert des Briefes. Briefe schreiben stellt einen hohen Zeitaufwand dar. Die Frage lautet daher: Qualität eines Briefes oder Quantität anderer Medien; das Zählen aber lernt der Mensch vor dem Schreiben. Wer sich dennoch für den Brief entscheidet, tut das unter ungünstigen Erwartungen, die das Museale und den Status der Liebhabertätigkeit betonen. Das ist vor allem dort der Fall, wo der Stil mit einem Male unnatürlich wird und das Lächerliche streift, wo Fragen nach wertvollen Materialien und der richtigen Atmosphäre gestellt werden und wo das beschriebene Papier wahlweise zu etwas „Wahrem“, „Geistigem“, „Wertvollem“ usw. nobilitiert wird. Welches Missverhältnis zwischen einfacher Aufgabe einerseits und Assoziationsballast eines Mediums andererseits. Man muss sich wundern, dass unter diesen Bedingungen überhaupt noch Briefe geschrieben werden. Dazu das schlechte Gewissen unnötige Spuren zu hinterlassen.

Andrerseits die Eigenschaft als Filter: Man wird sich hüten all die Zeit auf die Verschriftlichung von Small Talk zu verwenden. Zudem das Bemühen um sprachliche Hygiene und ein echtes Interesse an der Antwort des Anderen. Schließlich serielle Kommunikation statt Gleichzeitigkeit und Zerstreuung.

Sonntag, 1. Juli 2007

Abschiede

Turnus. Die Studierenden des letzten Jahres machen sich auf den Weg zurück und verwehen in alle Himmelsrichtungen. Dieweil nehmen Neue ihre Stellen ein, nach wenigen Tagen schon gleichen sich die Aussichten. Es gehört zu den Verlegenheiten von Abschieden, dass noch viele Worte und großes Aufhebens gemacht werden, auch dem „pressing the flesh“ entgeht man nicht.

Solches kann wohl nicht ausbleiben. In jedem Abschied ist etwas vom letzten Lebewohl und wie schwer ist es das zu akzeptieren. Da sind Vertröstungen, Lügen und Sentimentalitäten verzeihlich. In der Tat ist es schwer der Widrigkeit des Scheidens angemessen zu begegnen. Sachlichkeit wird nicht geschätzt, wäre indes die kürzeste Abwicklung. So bedarf es anderer Mittel, etwa des Sarkasmus. Der linientreuen Chinesin Der Untertan geschenkt, dessen englischer Titel The loyal subject stärker wirkt. Als Widmung: „historia magistra vitae“. Eine Geste der Verschwendung, aber von ausgesuchter Wirkung: Einem kleinen Tod mehr ins Gesicht gespuckt.

Später im Botanic Garden: Von der Vorhut des Frühlings ist nichts mehr zu sehen. Sie verblühte rasch und verfiel leise unter der Blüte ihrer Nachfolger.