Huysman, A rebours. Beeindruckender Materialismus bis in kleinste Verästelungen hinein; in Details sowie der generellen Kraftlosigkeit allerdings abstoßend. Am stärksten das Kapitel über die Schildkröte, die Des Esseintes, der Protagonist, erst vergolden, anschließend mit Juwelen verzieren lässt, damit sie farblich zu seinem Teppich passe. Der Versuch, die Natur durch ein Höchstmaß an Kunst zu übertreffen; die Schildkröte geht ein. Dieses Bild kann die restliche Lektüre ersparen, die sich größtenteils verliert in Zergliederungen feinster Sinneseindrücke, Huysmans' persönlicher (und verstaubter) Literaturkritik und immer wieder sympathischen, aber vorhersehbaren Gewetters gegen das elende Jahrhundert und seine Schmierendarsteller. Des Esseintes Anmaßungen dagegen, die Natur und die Gesellschaft, manipulieren zu können, ragen aus diesem Einerlei heraus: So sein Versuch, einen Jungen drei Monate lang in ein Bordell mitzunehmen, ihm dann jedoch die weitere Finanzierung dieser Vergnügen zu versagen und damit hoffentlich einen Verbrecher aus ihm zu machen, der stehlen und morden muss, um seine Lust weiterhin zu befriedigen, und damit der verhassten Gesellschaft schadet. Ebenso der Kauf abscheulicher Pflanzen, die aussehen, als seien sie von Menschenhand oder aus menschlicher Verwesung gemacht.
Des Esseintes gilt als Ahnherr der Décadents und Typen wie Patrick Bateman oder der kürzlich verstorbene "Ur-Ur-Enkel" Bismarcks werden mit ihm verglichen. Ein dummer Vergleich, der nur zeigt, dass es keine Dandys mehr gibt. Überdurchschnittlich viel Geld für Wein, Weib und Gesang auszugeben, Perversionen zu kultivieren, die heute allenfalls "special interests", wenn nicht gang und gäbe sind, und - wie jener "Bismarck" - Frauen mit einem geistlosen "Verehrteste, um Ihrem Hals müssten Diamanten hängen!" zu begrüßen, machen noch längst nicht den verfeinerten Kunstmenschen aus. Dazu passt auch der Bedeutungsverlust des Begriffs "Dekadenz"; dieser Tage ist damit vor allem der Verfall gemeint, der korrumpierte und korrumpierende Konsum, nicht mehr aber die letzte Stufe einer Entwicklung, die zur vollsten Blüte treibt, ehe die Blätter verbraucht zu Boden sinken. Des Esseintes ist im 21. Jahrhundert unvorstellbar; die Voraussetzungen fehlen - sie sind in den Ruinen des bürgerlichen Zeitalters verloren gegangen.
Heute könnte Des Esseintes einen neuen, popkulturellen Namen annehmen, halb Pin-up, halb Massenmörder, und mit seinen Marotten viel Geld verdienen. Anschließend würde er wegen Tierquälerei verklagt werden. - Die "Nützlichkeitsapostel" haben gesiegt.