"Es gibt nur eine Maxime - das ist die, daß man sich mit dem Tode befreunden muß." (Jünger, Strahlungen)

Sonntag, 22. Juli 2007

Dekadenz II

Im Grunde genommen ist Des Esseintes Idealist radikalster Schule. Mit der gemeinen Welt kann er spielen, sie aber nicht akzeptieren. Er führt daher seinen ererbten Reichtum einem guten Zwecke zu und schafft sich im ländlichen Exil seine eigene künstliche Welt. Wie jeder vorwiegend geistige Bau ist sie eine schlechte Wohnstätte. Sein Arzt, nicht zufällig als "Mann von Welt" charakterisiert, rät ihm am Ende des Buches folglich zur Rückkehr in das verabscheute Paris, das heißt: in die Wirklichkeit.


Des Esseintes' Haltung ist respektabel, aber in jeder Hinsicht unpraktisch und "künstlich" durch und durch. Selbst wenn er könnte, kämpfte er nicht um sein Leben, sondern verschaffte sich einen letzten Genuss, indem er den Untergang der Titanic in allen Nuancen zu erfassen versuchte. Seine Pläne sind von bestechender Präzision, lassen aber die banalsten Tatsachen außer Acht und müssen daher scheitern. Ein Brief seines alten Vorbilds Zola ist bezeichnend: Der Intellektuelle, der auch heutigen Anforderungen an die instrumentelle Intelligenz entspräche, ging nach der Lektüre von A rebours alle Bilder im Einzelnen durch. Das zentrale Bild der vergoldeten Schildkröte lobte er, gab jedoch zu bedenken: "Eine bourgeoise Sorge hat mich beschäftigt; glücklicherweise stirbt das Tier, denn es hätte sonst auf den Teppich gekackt."