Die Japanerin sieht einen vierseitigen Brief auf dem Tisch liegen und staunt, wie viel das sei. Eindruck, sie setze das Schreiben eines Briefes mit dem Ausfüllen vieler leerer Seiten gleich. Dabei ist der Brief im Gegenteil eine konzentrierte Form der Kommunikation. Er verlangt ein gespanntes Bewusstsein und fördert das Denken schon rein mechanisch.
Leider entspricht das nicht dem heutigen Stellenwert des Briefes. Briefe schreiben stellt einen hohen Zeitaufwand dar. Die Frage lautet daher: Qualität eines Briefes oder Quantität anderer Medien; das Zählen aber lernt der Mensch vor dem Schreiben. Wer sich dennoch für den Brief entscheidet, tut das unter ungünstigen Erwartungen, die das Museale und den Status der Liebhabertätigkeit betonen. Das ist vor allem dort der Fall, wo der Stil mit einem Male unnatürlich wird und das Lächerliche streift, wo Fragen nach wertvollen Materialien und der richtigen Atmosphäre gestellt werden und wo das beschriebene Papier wahlweise zu etwas „Wahrem“, „Geistigem“, „Wertvollem“ usw. nobilitiert wird. Welches Missverhältnis zwischen einfacher Aufgabe einerseits und Assoziationsballast eines Mediums andererseits. Man muss sich wundern, dass unter diesen Bedingungen überhaupt noch Briefe geschrieben werden. Dazu das schlechte Gewissen unnötige Spuren zu hinterlassen.
Andrerseits die Eigenschaft als Filter: Man wird sich hüten all die Zeit auf die Verschriftlichung von Small Talk zu verwenden. Zudem das Bemühen um sprachliche Hygiene und ein echtes Interesse an der Antwort des Anderen. Schließlich serielle Kommunikation statt Gleichzeitigkeit und Zerstreuung.