"Es gibt nur eine Maxime - das ist die, daß man sich mit dem Tode befreunden muß." (Jünger, Strahlungen)

Samstag, 31. März 2007

Botanischer Garten

Der botanische Garten, ein weiterer Vorzug der hiesigen Gegend. Im Herbst leuchtete er noch einmal auf und trieb Verschwendung mit seiner Potenz. Im Winter lag das Leben danieder und zum ersten Mal war ersichtlich, wie klein dieser Garten doch ist. Nur die Jahrhunderte alten Bäume trösteten über diesen Anblick hinweg; das ist gewachsene Zuversicht.

Beim Gang durch den Garten zeigt sich ein zeittypisches Analphabetentum: Wie wenig Wissen, um Flora und Fauna auch nur benennen zu können. Ein tiefes Missverhältnis zu der Natur, schon im Kleinen.

Fragwürdig ist heute allerdings ebenso das Interesse an der Natur. Wer sich vor einem Gang durch den Wald „ausrüstet“, dem geht es vermutlich um Anderes: Eitelkeit oder Rekord.

Unangenehm vor allem dort, wo die Natur zum Themenpark wird. Hierzulande sind es die ornithologischen Beobachtungen, die sich großer Beliebtheit erfreuen: Mit Ferngläsern bewaffnete Briten drängen sich in einen kleinen Holzverhau und warten auf besonders schöne Exemplare. Man fragt sich unwillkürlich, wer da wen beobachten kommt: Der Mensch das Tier oder die freien Vögel die Vieräugler im Verhau?

Der Gartenbau sollte den höchsten Künsten zugerechnet werden. Seine Werke sind außerordentlich: Jahr auf Jahr vergehen und erstehen sie wieder. Alle übrige Kunst dagegen appelliert an unsere Nekrophilie.

Dienstag, 27. März 2007

Fairness

Eines der vergessenen Schlachtfelder des Ersten Weltkrieges ist Afrika. Unter dem heute umstrittenen General Paul Emil von Lettow-Vorbeck hielten wenige deutsche Kolonialtruppen die überlegenen Briten, Portugiesen und Belgier in Atem. So gelang hier den Deutschen der einzige Vorstoß auf englisches Territorium (Nordrhodesien). Die Leidtragenden waren neben den Soldaten, die lieber in Europa gedient hätten, vor allem die massenweise umgekommenen Afrikaner – man zählte sie nicht einmal.

Nach Kriegsende luden Lettow-Vorbecks britische Bewunderer den General 1929 zum Dinner ein; nach dem Zweiten Weltkrieg ermöglichten sie ihm eine angemessene Pension. Ein gutes Beispiel für die Fairness der Briten, nicht nur in Kriegsfragen. Zugleich aber auch ein Beispiel dafür, dass Reste von Ritterlichkeit sich nur dort halten können, wo der symbolische Wert den strategischen bei weitem übertrifft. So auch in der ars amatoria.

Donnerstag, 22. März 2007

Eine Nation von Hausbesitzern

Die Häuser hierzulande sind lächerlich klein, man hockt aufeinander. Selbst in der satten Mittelschicht ist dieser Baustil verbreitet. Die stickige Wärme der Räume eignet sich zum Brüten, nicht zum Leben. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass die Brut, sobald sie diesen Kästen entronnen ist, so über die Strenge schlägt. In den hiesigen Bibliotheken übrigens kennt man die richtige Betriebstemperatur: Sie werden unter großem Energieaufwand kühl gehalten – das sind Sphären, in denen man überwintern kann.

Sonntag, 18. März 2007

Metropolis (XI)

Abney Park Cemetery. War der erste „Gartenfriedhof“ Europas und wurde als solcher von den Viktorianern gefeiert. Unklar, ob man die zerstörerische Wirkung von Zeit und Natur damals einkalkulierte; vermutlich ging man von anhaltender Pflege aus. Auch darin haben sie sich überschätzt.

Dass Abney ein Park und kein Friedhof ist, hat unangenehme Folgen. Allerlei Gesindel treibt sich hier herum und hinterlässt neben Müll überall Spuren fehlenden Respekts. Von der verfallenen Kapelle geht strenger Uringestank aus; in Sichtweite stehen zwielichtige Gestalten herum und glotzen, gehen wohl ihrem kleinkriminellen Tagesgeschäft nach.

Auch dieser Friedhof hat einen unverwechselbaren Charakter, Steine und Stellen, die zum Innehalten zwingen. Dennoch geht mit der Wiederholung der Motive allmählich Ermüdung einher. Kohärenz im Totenkult bedeutet auch Vorhersehbarkeit. Bei den Formen und Motiven sind nur noch Schattierungen zu unterscheiden. Oder Werkstätten verschiedener Steinmetze.

Wiederholung bis zum Überdruß auch in Camden Town mit seinen berühmten Märkten. Was dort zunächst neu und originell anmutet, das stirbt an jedem weiteren Stand, der das Gleiche anbietet, einen langweiligen Tod. Die „Alternativen“, die hier Unsummen auf der Suche nach Retro-Trash ausgeben, unterscheidet nur das Maß an Selbstbetrug von dem wortwörtlichen Hauptstrom auf der Oxford und Regent Street. Ein Beispiel dafür, wie Subkulturen zu Konsumgruppen werden.

Tate Britain. Turner ist den Besuch wert, ansonsten das übliche Füllmaterial solcher Museen und viel Schrott in der Abteilung zeitgenössischer Kunst. Leider gilt da immer noch die Überzeugung, dass die Kunst das Handwerk nicht brauche und die Eingebung es schon richten werde. Ein langweilender Irrtum. Den anwesenden Kunstpudeln gefällt es gleichwohl.

Samstag, 17. März 2007

Metropolis (X)

In den U-Bahnen, Bussen und Zügen wird ungemein viel gelesen. Ein Grund dafür sind die verschiedenen Gratis-Zeitungen, die einem an allen Knotenpunkten der Stadt aufgedrängt werden. Eines dieser Blätter, the london paper, dürfte stellvertretend für diese Gattung sein: Viel Tratsch und Lokales, Bauch- und Unterleibspresse. Anscheinend werden diese Machwerke von allen Klassen gelesen – einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul.

Zwischen der Werbung eine ganzseitige Anzeige der British Transport Police: „Terrorism: If you suspect it, report it“. Wer verdächtiges Verhalten beobachtet, kann sich an eine „confidential anti-terrorist hotline“ wenden. Anleitung zur Denunziation. Wie die unzähligen Kameras und die „Sicherheitsansagen“ auf Bahnhöfen verdirbt das liebgewonnene Vorstellungen. Einer Wiege der Demokratie und des Liberalismus kann beizeiten wohl auch ein autoritärer Bastard entsteigen.

Erst 2.602, dann 191, zuletzt 56 – es ist bemerkenswert, dass eine immer kleinere Zahl immer totaler werdende Maßnahme rechtfertigen muss. Das ist umso erstaunlicher, wenn man den vorausgesetzten Kriegszustand bedenkt. In klassischen Kriegen ist man da großzügiger und nachsichtiger gewesen. Gewöhnung setzt allerdings auch hier ein – die Sicherheitsmaßnahmen in der Stadt werden zu einem ebenso lästigen und ignorierten Alltag wie der Flugverkehr über ihr.


Freitag, 16. März 2007

Metropolis (IX)

Zum Frühstück zwei Friedhöfe.

Nunhead. Am Westeingang einige neue Gräber, anschließend starke Verwilderung des historischen Teils. Ein Pfad zweigt vom Hauptweg ab und führt an umrankten Grabsteinen in das Dickicht hinein. Der Friedhof verschwindet unter starkem Gestrüpp und nach etwa 100 Metern endet der Pfad plötzlich. Nur Krähen und Dornen.

Wieder auf dem Hauptweg ein möglicher Grund dafür. Der Friedhofs- wärter, ein alter, hagerer Mann, hackt am Wegesrand auf Ranken ein. Absurde Vorstellung, er täte dies den ganzen Tag: Breschen ins Nichts schlagen.










Die anglikanische Kapelle, das Prunkstück des Friedhofs, ist vor etwa 30 Jahren ausgebrannt, macht aber von außen noch immer einen starken Eindruck. Auch hier die Krähen, denen dieser Ort offenbar behagt.


Zurück über die Rye Lane. Die Läden afrikanschen und karibischen Charakters. Sie wirken in ihrer Farbenpracht und Fülle wie eine Ansammlung von Marktbuden. Selbst die bekannten Geschäfte und Banken dazwischen verlieren an Massivität. Aggressive Gerüche: Kochendes Fleisch, verrottendes Gemüse und schwitzende Leiber. In einem Laden wird Fleisch feilgeboten; der rötliche Saft schimmert in der Sonne, der Geruch unerträglich. An der Bahnstation geht eine wirre Alte im Kreis umher. Vor einer Tür verspritzte Flüssigkeit, darin etwas, das wie ein Haarbüschel aussieht. Die Menschen wirken entspannt, auf eine unerwartete Weise leicht, so, als ob es die Maschine, in der sie keinen Platz haben, nicht gäbe. Sie haben damit den Bewohnern vieler anderer Viertel etwas voraus.

West Norwood. Ein alter Mann, vermutlich Kubaner, grüßt ein vorbei- fahrendes Auto, indem er mit dem Gehstock wedelt. Trotz seiner verbrauchten Erscheinung verleiht ihm die Nelke im Knopfloch etwas überaus Nobles. In der Park Street sieht man dergleichen nicht.

Der Friedhof liegt an einer belebten Stelle, wovon nicht nur der Lärm des Verkehrs zeugt. Dennoch ist er an einige Stellen von einem enormen Verfall gezeichnet. Hier und da hat der hohe Grundwasserspiegel die Anlage versumpfen lassen; die Erde verschluckt die Gräber. Auf dem Hügel des Friedhofes sind ganze Gräberstreifen mit Stacheldrahtzaun abgesperrt, darunter einige Mausoleen. Gedanke an den Glanz im Viktorianerflügel der National Portrait Gallery. Vermutlich haben diejenigen, die sich hier bestatten ließen, nie daran gedacht, dass in nur 150 Jahren vielfach nicht einmal mehr die Inschriften zu lesen sein würden. Sic transit gloria. Oder: „And I figured out that life’s for the living / while you’re alive“.

Mittwoch, 14. März 2007

Metropolis (VIII)

In den U-Bahnen werden nach den Regeln der Wiederholung die üblichen Zerstreuungen für Großstädter annonciert: Ferne, Fusel, Veranstaltungen mit Massencharakter. Man gelangt zu dem Trugschluss ein überaus bewegtes, ja abenteuerliches Leben zu führen. Viel gelesene Bücher wie Ackroyds London: A biography bestätigen in diesem Irrtum. So fährt man in Viertel, „in denen einem alles passieren kann“, „sucht das Abenteuer“ – und nimmt aus Gründen der Sicherheit und Bequemlichkeit das Taxi. Wer an das abenteuerliche Leben in Städten wie London glaubt, der hat die höhere Käfighaltung, die solche Orte voraussetzen, nicht begriffen.

Stattdessen kann man viele Plagen finden. Eine, die besonders anwidert, ist der ungeheure Flugverkehr über der Stadt. In den Außenbezirken ist bei jedem Blick in den Himmel irgendwo ein Flugzeug auszumachen; meist hört man es bald über einen hinwegdonnern. Die Bewohner hören das nicht mehr; das Bewußtwerden dieses Übels würde die überbewerteten Immobilienpreise natürlich drücken.

Was war dagegen schon der „Blitz“? „Windy weather“, wie die vornehmeren Vertreter dieser Nation es damals nannten.

Dienstag, 13. März 2007

Metropolis (VII)

Kensal Green im Nordwesten. Überraschend gut erhalten. Rasch wird klar warum: Hier herrscht noch Hochbetrieb. Allein an diesem Morgen zwei Beerdigungen. Trauermärsche, bei einem hält die Kamera auf dem Stativ die Prozedur fest, bei dem anderen donnert ein Kanonenschlag. Das verscheucht nicht nur die Vögel.

Selbst der Verfall scheint hier kontrolliert. Die Steine und Monumente sind nur Dekoration eines pietätvollen Gedenkgartens. Es wundert nicht, dass in einem Teil Rosensträucher statt Grabsteine die letzten Ruhestätten markieren.

Zwischen den Vergessenen sind auch viele Neuankömmlinge zu verzeichnen. Besonders die sehr Jungen haben oft hässlich bunte Gräber. An einem wurde die komplette Ausstattung eines Kinderzimmers ausgeschüttet.

Im Vergleich zu der strikten, aber zeitlosen Symbolik der Viktorianer erweisen sich die meisten neuen Gräber, insoweit sie über die reine Funktion hinausgehen, als verfehlt. Die Bedeutung der Gräber ist allerdings seit dem 19. Jahrhundert stark gesunken; Großbritannien verbrennt heutzutage etwa drei Viertel seiner Toten, womit es auf Platz 3 hinter Indien und Japan rangiert.

Umso überraschender sind Gräber, die ohne Traditionsbezug eine starke Wirkung haben. Auf diesem Friedhof ist es das eines 23-jährigen, das von seinem Namen und den Worten „brother, boyfriend, son“ umschlossen ist. Das ist nicht nur eine wohl unbewusste) Aufnahme der viktorianischen Trias „Glaube, Hoffnung, Barmherzigkeit“ (als drei aufeinander ruhende Steine), sondern erinnert auch an die Lücken, die jeder Tod im Leben reisst, an die Wunden. Auch ist dieses Grabmal ein Beispiel dafür, dass ein würdevolles Grab keinesfalls kostspielig sein muss. Weniger gut die Bank, die vor dem Grab steht: Man sollte der Schwere standhalten, nicht nachgeben und niedersinken.

Noch einmal East End. Abends Whitechapel, ostwärts. Schwere Gerüche und satte Farben auf der Straße, wo gerade Marktbuden abgebaut werden und Müll über den Boden weht. Immer wieder Sirenengeheul, das das vielsprachige Stimmengewirr zerreißt. Anregende Vitalität. In den kleineren Strassen ruhiger, geschlossener. Als einziger Weißer die Erfahrung, was Hautfarbe bedeutet. Dazu die verwunderten Blicke.

Von hieraus in die Wohnquartiere der Leute. Das ist nicht das Armenghetto Dickens' mehr. Selbst die jämmerlichsten Typen hier sind noch wohlgenährt und ausreichend bekleidet. Die Unterkünfte scheinen im passablen Zustand zu sein; nur selten der berüchtigte Gestank – es ist in den Gassen glücklicherweise zu dunkel, um zu sehen, wovon genau er stammt. Die Gleichgültigkeit gegenüber der Umgebung ist also durchaus geblieben; vor einigen Haustüren monströse Müllhaufen.

Zu behaupten, die Bangali, die heute East End bewohnen, hätten die Rolle der Iren und anderer Unterschichten des 19. Jahrhunderts übernommen, ist ignorant. Tatsächlich beweisen diese Viertel, dass es doch einen Fortschritt gibt, der alle Boote anhebt. Wenn auch nicht in gleichem Maße.

Montag, 12. März 2007

Metropolis (VI)

Ein weiterer Friedhof: Hamlet Towers im East End. Auf dem Weg Begegnung mit einer gedrungenen Gestalt. Verwilderter Blick, lautes Selbst- gespräch, abstoßende Aura; könnte einem „Lehrbuch“ Lombrosos entsprungen sein. Ist oft in solchen Stadtteilen zu finden, die dem Verdauungstrakt des Körpers gleichkommen. Das East End ist allerdings nicht mehr das, was es einst war. Im Zuge der kosmetischen Arbeiten für die Olympischen Spiele 2012 wird es zu einem Multi-Kulti-Erlebnisviertel gemodelt.


Hamlet Towers ist ein einfacher Friedhof. Es gibt kaum Standbilder, was nicht weiter verwundert: Welcher Viktorianer wäre denn schon freiwillig in das East End gegangen, um seiner Toten zu gedenken? Immerhin ist hier die Grenze zwischen Friedhof und Wildpark fast aufgehoben. Große Teile verwildert, die Gräber eingeebnet oder von Wurzelgeflecht und Erde umschlossen.

Später Imperial War Museum. Ein Kriegsmuseum, in dem die Zerstörungsmittel mit dem Gestus des Liebhabers vorgestellt werden („bestes Geschütz des Zweiten Weltkrieges“, „gutes Handling“). Abscheu und Neugier zugleich.

Vor einem der Panzer die Ahnung, welchen Mut es zum Angriff bedurfte. Der Blick in einen dieser Stahlkolosse kehrt die Perspektive um: nach einem Treffer wurde der Tank zu einem Grill. Der Diarist hat beschrieben, wie an dem ausgebrannten Inneren eines getroffenen Panzers das Fleisch klebte.

Im gleichen Haus befindet sich eine Holocaust-Ausstellung. Substanziell dominiert sie das Kriegsmuseum. Ein Gang durch die geschickt inszenierten Räume lässt die hiesige Begeisterung für das Kriegsspielzeug vergessen: Man kämpfte auf der einzig richtigen Seite, da sind Stolz und Heroismus erlaubt. Am Ausgang der Ausstellung das erste Mal Ekel, Deutsch zu sprechen.

***

Ellis, Less than zero: Für ein Erstlingswerk gut. Besitzt aber bereits die Schwäche, die American Psycho auszeichnen wird: Redundante Belanglosigkeit. Das ist das Dilemma dessen, der Nihilismus darstellen will. Stark wird das Büchlein auf den letzten Seiten: Päderasten, Sadisten, Junkies – man legt es angeekelt beiseite. Handwerklich eine bemerkenswerte Leistung.

Sonntag, 11. März 2007

Metropolis (V)

Highgate cemetery. Der berühmteste Friedhof Londons. Nicht wegen seiner Opulenz, sondern weil Marx hier begraben liegt. Überall Hinweise darauf, ärgerlicher: Suchende. Das hätte Marx wohl nicht erwartet: dass das Interesse an seiner Person seine Ideen überlebt.

Highgate ist in einem desolaten Zustand und leider wird bereits eifrig „instandgesetzt“ und „renoviert“. Noch aber überwiegt der Verfall. Man kann sehen, wie die Bäume sich der Gräber auch über der Erde bemächtigen. Der Ort ist zudem so ruhig, dass Füchse und anderes Getier hier einheimisch geworden sind, darunter 45 Vogelarten.

Den westlichen Teil – das verwitterte Juwel – darf man nur mit einem Führer betreten. Unter der Gruppe ein älteres Ehepaar aus Australien, das sich mit Mühe über den Morast bewegt. Vor einem der Mausoleen wirft eine schöne Brünette mit scharf geschnittenen Gesicht den Kopf zurück. Jasmingeruch weht ihr nach.

Die Mausoleen wurden für die wohl- habendsten Kunden dieses privat betriebenen Friedhofs geschaffen. Das Prunkstück ist ein Kreis solcher Kammern, der einen etwa 300 Jahre alten Baum umschließt. Gleich einem Baum des Lebens erhebt er sich über die Grabkammern längst vergessener Namen. Unter seinen Fittichen eine Blumenart, die vor über 150 Jahren gesät wurde.

In der Nähe steht auch das größte Mausoleum, das einem gewissen Julius Beer gehört. Der jüdische Emigrant aus Frankfurt kam mittellos im viktorianischen London an und verdiente später ein Vermögen mit Aktienhandel. Typisch Aufsteiger versuchte er mit allen Mitteln dazuzugehören. Doch galt erworbenes Geld weniger als geerbtes – Beer blieb ein Außenseiter. Nach seinem Tod wurde er in seinem £ 5.000 (entspräche heute 4,5 Millionen Euro) teuren Mausoleum bestattet, das direkt an der Kirche Highgates lag. Den Viktorianern, die hier sonntags nach der Messe vom Kirchhof auf die Stadt hinabzublicken pflegten, wurde fortan durch Beers Mausoleum die freie Sicht genommen. Der letzte und einzige Triumph dieses Mannes, dessen Tod nur einer Zeitung einen Nachruf wert war – seiner eigenen.

An den Friedhof grenzend ein Irrenhaus sowie eine Wohnbunkeranlage, in der Menschen hausen. Zwei dürre Mädchen spielen auf von Hundescheiße verdreckten Beton. Es gibt hier zwei Dinge zu sehen: Beton und Grabsteine. Eine schwere Entscheidung.


Samstag, 10. März 2007

Metropolis (IV)

Soho. Solche Orte werden immer ihren Travis finden.

Donnerstag, 8. März 2007

Metropolis (III)

British Museum, Great Court: Kultur als Machtinstrument erster Güte. Dem Mann von der Strasse wie dem ausländischen Reisenden werden vor monumentaler Kulisse die Beutetstücke vergangener und unterworfener Zivilisationen vorgeführt. Ganz gleich wie hoch entwickelt diese gewesen sein mögen: Nun kann sie auch der letzte Kretin anglotzen und primitiv nennen. Die Briten tun gut daran, seit der Gründung 1759 kein Eintrittsgeld zu verlangen – ein Museum, das eines Empire wahrhaft würdig ist.

Das ist nicht die einzige Reminiszenz an die glorreichen Jahre des Empire. Das Regierungsviertel ist noch durchwirkt von gewesener Großmacht. Diese ist gutartiger Natur, zeigt sie doch, dass Reiche nicht zwangsläufig untergehen müssen, sondern „ausgehen“ können. Das stimmt versöhnlich.

Mittwoch, 7. März 2007

Metropolis (II)


West-Brompton cemetery (1839). Gehört zu den „magnificient seven“ in London. Beim Betreten zunächst leichte Enttäuschung über die Größe und den Verkehrslärm. Doch lassen die opulenten Grüfte, Standbilder und Sarkophage – allesamt im Verfall begriffen – diese Unannehmlichkeiten vergessen.

Man könnte hier einen ganzen Tag verbringen, doch, welch Ironie, „tempus fugit“. So gilt es die Gewohnheit zu unterdrücken, ausschweifend die Inschriften zu lesen und über die Namen nachzusinnen. Nur eine fiel doch auf: „Dear God, I thank for all the sweet things I have known in my life. “ Das frisst direkt an der Substanz.


Die Westminster-Bridge hat ein nicht einmal hüfthohes Geländer. Wie viele das als Einladung verstanden?


Montag, 5. März 2007

Metropolis (I)

Nach der Arbeit Drift durch die Strassen mit dem Zufall als Begleiter. An Stadttieren vorbei, Scheuklappenblick und lächerlich unpraktische Balzuniformen. Willkürlich in Busse und Massenbewegungen. An einer Strassenecke spiegeln zwei Shakespeare-Originale eilige Eitelkeit, während ausgewaschenes Neonlicht ein leeres Restaurant bescheint. Lockend die dunkle Gasse. Sie endet vor einer gotischen Kirche; nur der Regen müsste schwerer fallen. In einer weiteren weniger Glück: Gestank eines öffentlichen Pissoirs, zwielichtige Gestalten als Lokalkolorit. Zurück auf die High Street die von fetten Müllsäcken gesäumt ist. Hier wird die Quantität schlagend: So viele blinkende Leben, dass sie nur noch zoologisch zu begreifen sind. Die Stadt als grotesker Termitenhaufen.


Zweimal überbelichtet: Die einbeinige Taube am Piccadilly Circus, die zum nächsten Brosamen humpelte, und die junge Mutter mit Kind auf einer umtosten Verkehrsinsel strahlten eine unheimliche Zuversicht aus.

Samstag, 3. März 2007

Kingdom of Doom

“Friday night in the Kingdom of Doom”, dieses Mal in in N. Starker Eindruck des Widrigen, “pub-crawl” in seiner anderen Bedeutung. Auf den Straßen 50-jährige, die ihre Würde im Kleiderschrank der Kinder gelassen haben, und eine Jugend ohne Reiz und Reaktion. Innen blechernes Biergefasel, Blut & Brunst; ein Bastard von Barkeeper betrügt bisweilen.

Schließlich „Jazz-Cafe“. Drei alte Männer am Eingang, einer erinnert an Darwin, die Möbel und das Dekor so abgelebt wie sie. Das junge Publikum zeigt sich angepasst, darunter einige adrette Beat-Prinzessinnen und Existenzialistenschwarze. Das erste Mal am Abend Wohlbehagen, Champagner als Trankopfer.

Aus dem Land der Mitte: Pornographie ist dort verboten, wer beim Verkauf oder gar der Produktion erwischt wird, muss mit drakonischen Haftstrafen rechnen. Daher sieht sich das Land japanische Pornofilme an. Ob es nicht demütigend sei, hierbei auf die Hilfe des Feindes angewiesen zu sein? Vage Verneinung: „Ganz Asien macht das so.“ Unausgesprochen das reine Gewissen dieser Haltung – der „Dreck“ kommt von drüben.

Auch die Prostitution ist verboten, aber allgegenwärtig. In Hotels wird sie unter „besondere Dienste“ geführt. Während er in einem Hotel abgestiegen war, wurde H. mehrmals angerufen: „Wollen Sie besondere Dienste in Anspruch nehmen?“ Er legte auf. Einmal nahm die Freundin ab: „Ich war zuerst da!“

Freitag, 2. März 2007

Pan's labyrinth

Pan’s labyrinth. Schattenästhetik wie bei McGees Alice und Burtons Nightmare before Christmas. Handlung: Spanien 1944, ein Mädchen flieht vor dem faschistischen Alltag in eine nicht weniger düstere, aber erlösende Wunderwelt. Eigentlich zwei Filme, von denen der historische politisch ärgerlich ist (Vergangenheitsabwicklung). Darin gelungen indes der Typus des Faschisten: Martialisch, sadistisch, von reptilienhafter Starre. Führt immer eine Uhr bei sich, um sie in der Stunde seines Todes zu zerschlagen. Die Verzifferung der Welt bis in den Tod hinein – der Diarist hätte das sicherlich in das „Milieu des Nihilismus“ eingeordnet.

Unangenehm war das Kino, eine so genannte „film society“. Gab einen Film für sich ab: Highschool Klamotte.