"Es gibt nur eine Maxime - das ist die, daß man sich mit dem Tode befreunden muß." (Jünger, Strahlungen)

Sonntag, 11. März 2007

Metropolis (V)

Highgate cemetery. Der berühmteste Friedhof Londons. Nicht wegen seiner Opulenz, sondern weil Marx hier begraben liegt. Überall Hinweise darauf, ärgerlicher: Suchende. Das hätte Marx wohl nicht erwartet: dass das Interesse an seiner Person seine Ideen überlebt.

Highgate ist in einem desolaten Zustand und leider wird bereits eifrig „instandgesetzt“ und „renoviert“. Noch aber überwiegt der Verfall. Man kann sehen, wie die Bäume sich der Gräber auch über der Erde bemächtigen. Der Ort ist zudem so ruhig, dass Füchse und anderes Getier hier einheimisch geworden sind, darunter 45 Vogelarten.

Den westlichen Teil – das verwitterte Juwel – darf man nur mit einem Führer betreten. Unter der Gruppe ein älteres Ehepaar aus Australien, das sich mit Mühe über den Morast bewegt. Vor einem der Mausoleen wirft eine schöne Brünette mit scharf geschnittenen Gesicht den Kopf zurück. Jasmingeruch weht ihr nach.

Die Mausoleen wurden für die wohl- habendsten Kunden dieses privat betriebenen Friedhofs geschaffen. Das Prunkstück ist ein Kreis solcher Kammern, der einen etwa 300 Jahre alten Baum umschließt. Gleich einem Baum des Lebens erhebt er sich über die Grabkammern längst vergessener Namen. Unter seinen Fittichen eine Blumenart, die vor über 150 Jahren gesät wurde.

In der Nähe steht auch das größte Mausoleum, das einem gewissen Julius Beer gehört. Der jüdische Emigrant aus Frankfurt kam mittellos im viktorianischen London an und verdiente später ein Vermögen mit Aktienhandel. Typisch Aufsteiger versuchte er mit allen Mitteln dazuzugehören. Doch galt erworbenes Geld weniger als geerbtes – Beer blieb ein Außenseiter. Nach seinem Tod wurde er in seinem £ 5.000 (entspräche heute 4,5 Millionen Euro) teuren Mausoleum bestattet, das direkt an der Kirche Highgates lag. Den Viktorianern, die hier sonntags nach der Messe vom Kirchhof auf die Stadt hinabzublicken pflegten, wurde fortan durch Beers Mausoleum die freie Sicht genommen. Der letzte und einzige Triumph dieses Mannes, dessen Tod nur einer Zeitung einen Nachruf wert war – seiner eigenen.

An den Friedhof grenzend ein Irrenhaus sowie eine Wohnbunkeranlage, in der Menschen hausen. Zwei dürre Mädchen spielen auf von Hundescheiße verdreckten Beton. Es gibt hier zwei Dinge zu sehen: Beton und Grabsteine. Eine schwere Entscheidung.